
Foto: Christian Donner
Der 20. Spieltag der Regionalliga Nordost hält für die BSG Chemie Leipzig das zweite Heimspiel vor leeren Rängen und das zweite Lokalduell innerhalb weniger Wochen bereit. Der Tabellenvorletzte aus Eilenburg nimmt die Reise von knapp 30 Kilometern ins Leutzscher Holz auf sich und wird bemüht sein, vor der anstehenden Winterpause Stabilität ins eigene Spiel zu bringen und bessere Aussichten in der Tabelle Einzug halten zu lassen. Nach der deutlichen 5:1-Auswärtsniederlage bei der Zweitvertretung der Berliner Hertha und dem kuriosen 4:4 (1:1) zuhause gegen den SV Lichtenberg 47, bei welchem man nach eigener 1:0-Führung und zwischenzeitlichem 1:3-Rückstand erst in der letzten Spielminute einen Punkt in Eilenburg behalten konnte, trifft der FC mit den Leutzschern ebenfalls auf ein Team, welches in der aktuellen Phase mit der eigenen Form zu hadern hat und ein Erfolgserlebnis herbeisehnt. Das, wie bereits die Partie gegen den FC Energie Cottbus in der vergangenen Woche, ohne Fans vor leerer Kulisse ausgetragene Duell mit dem FC Eilenburg beginnt am morgigen Sonnabend, 4. Dezember 2021, um 16 Uhr im Leipziger Alfred-Kunze-Sportpark.
Unser Gegner, der FC Eilenburg, steht in seiner aktuellen Form in der Tradition des vor über 100 Jahren von acht Minderjährigen in der Eilenburger Gaststätte „Zur Torgauer Höhe“ gegründeten FC 1912 Eilenburg. Dieser Verein trat, nach einer zwischenzeitlichen Fusion, in den 1920er und 1930er Jahren als Spielvereinigung 1912 Eilenburg an, kam in der eigenen Stadt als bürgerlicher Verein allerdings nicht an der innerhalb der Struktur des Arbeiter-Turn- und Sportbundes ATSB organisierten Sportvereinigung Vorwärts Eilenburg vorbei. Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten im Jahr 1933 und dem daraus resultierenden Verbot der Sportvereinigung Vorwärts war man für kurze Zeit die Nummer eins vor Ort, was sich in den Folgejahren jedoch dadurch änderte, dass viele ehemalige Vorwärts-Spieler zur Reichsbahnsportgemeinschaft (RB) Eilenburg wechselten und so die vorherigen Kräfteverhältnisse in der Stadt wiederherstellten. Im Sommer des Jahres 1939 erfolgte die Fusion der beiden Platzhirsche unter dem Namen der RB Eilenburg. In der Folge des seinerzeit größten Erfolgs des Vereins, dem Gewinn der Kursachsenmeisterschaft im Jahr 1943, wurde der Spielbetrieb aufgrund der Umstände des Zweiten Weltkrieges eingestellt und die Mannschaft der RB Eilenburg nach ihrem letzten Spiel am 14. November 1944 abgemeldet.
Nach der bedingungslosen Kapitulation Nazideutschlands im Mai 1945 erfolgte in der sowjetischen Besatzungszone das Verbot aller bisher bestehenden Vereine, zum 14. Mai 1946 wurde der Reichsbahnsportverein aus dem Register gelöscht. Ende der 1940er Jahre spielte ein Großteil der ehemaligen RB-Spieler in der neu geschaffenen Struktur der Betriebssportgemeinschaft Fortschritt ECW Eilenburg, welche dem Eilenburger Chemiewerk als Trägerbetrieb angeschlossen war. Bereits 1949 stellte sich mit dem Sieg des FDGB-Pokals von Sachsen-Anhalt, nach einem 3:1-Finalsieg gegen die BSG Waggonfabrik Dessau, ein erster Erfolg im neuen Sportsystem des neuen deutschen Staates ein und berechtigte zur Teilnahme am ersten landesweiten FDGB-Pokal, welchen ebenjene BSG Waggonfabrik Dessau am Ende für sich entscheiden konnte. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten pendelten die Eilenburger, welche nach einem Wechsel des Trägerbetriebs ab 1950 als BSG Chemie Eilenburg antraten, zwischen der dritten und fünften Liga des DDR-Fußballs. Zum Zeitpunkt der politischen Wende in Deutschland und dem Ende des eigenen Fußballbetriebs des SED-Staates im Jahr 1991 beendeten die Mannen aus Eilenburg dieses Kapitel ihrer Vereinsgeschichte in der sechsthöchsten Spielklasse.
Der Neuanfang in den 1990er Jahren bedeutete in der Stadt an der Mulde einen neuen Wettkampf um die fußballerische Dominanz in der Stadt und in Nordsachsen an sich. Im Nachgang der BSG Chemie Eilenburg und dem Wegfall des Eilenburger Chemiewerks als Träger des Vereins gründeten Personen aus diesem Umfeld bereits im Jahr 1990 den neuen FSV Grün-Weiß Eilenburg. Parallel dazu bildete sich im Osten der Stadt der aus dem Mörtitzer SV hervorgegangene MFC Eilenburg heraus, welcher nach zwei Bezirksligameisterschaften zügig die bestimmende Kraft im Eilenburger Fußball wurde. Nach einem erneut verpassten Aufstieg in die Landesliga seitens des FSV Grün-Weiß, fusionierten die beiden Eilenburger Fußballvereine im Jahr 1998 zum FC Eilenburg in seiner heutigen Form. Mit dem Gewinn des Sachsenmeistertitels im Jahr 2004 stieg der FC Eilenburg in die Oberliga Nordost auf, die damals vierthöchste Spielklasse des deutschen Fußballs, in welcher man für die fünf folgenden Jahre verbleiben sollte. Anschließend daran spielte der FC erneut in der Sachsenliga und war dort, meist hinter der U23 von Rasenballsport Leipzig, stets auf den Spitzenplätzen zu finden. Einer der größten Erfolge der jüngeren Vereinsgeschichte war zweifelsohne das Erreichen des Sachsenpokalfinales 2019/2020. Auf dem Weg dorthin begegnete man unter anderem auch der BSG Chemie Leipzig im Achtelfinale, welche man mit 1:0 schlagen konnte. In dem im heimischen Ilburgstadion zu Eilenburg ausgetragenen Endspiel des Landespokals trafen die Rot-Blauen auf den Chemnitzer FC, gegen welches man knapp mit 1:2 verlor und demnach die Qualifikation für den DFB-Pokal verpasste. Durch den im Zuge der COVID-19-Pandemie bedingten Abbruch der Oberliga Nordost in der Saison 2020/2021 stieg der FC Eilenburg in der vergangenen Spielzeit als Tabellenerster in de Regionalliga Nordost auf.
Das klare Ziel der Nordsachsen lautete und lautet Klassenerhalt. Die Bemühungen und die Erfolgsaussichten für dieses Ziel müssen, bei einem Blick auf die bisherigen Saisonleistungen der Eilenburger, als durchwachsen beschrieben werden. Obwohl der FC Eilenburg ironischerweise tatsächlich exakt gleich viele Tore erzielt hat wie die BSG Chemie, ergibt sich die tabellarische Distanz zwischen Platz elf und Platz 19 unter anderem aufgrund der Tatsache, dass Kapitän und Stammkeeper Andreas Naumann deutlich öfter hinter sich greifen musste als unser Benjamin Bellot – 21 Mal öfter, um genau zu sein. 44 kassierte Gegentore in 19 Spielen – im Schnitt 2,3 Tore pro Spiel – sprechen eine deutliche Sprache und lassen den Schluss zu, dass es anspruchsvoll für die Eilenburger werden dürfte, in dieser Saison die Klasse zu halten. Lediglich zwei eigene Siege bei elf Niederlagen werden hierfür schlicht und ergreifend nicht ausreichend sein. Was die Offensive anbelangt, so sind die Rot-Blauen und die Grün-Weißen, wie erwähnt, exakt gleichauf und demnach auch exakt gleich enttäuscht: Weniger als ein geschossenes pro Spiel sind weder für den Tabellenkeller noch für die Tabellenmitte genug und die eigenen Ansprüche müssen bei beiden Teams deutlich höher liegen. Die deutlich stabilere chemische Defensive macht hier den tabellarischen Unterschied.
In den jüngsten fünf Aufeinandertreffen der BSG Chemie Leipzig gegen den FC Eilenburg, welche zweimal im sächsischen Landespokal, zweimal in der Oberligasaison 2018/2019 und in der Hinrunde der aktuellen Saison stattfanden, gingen die Eilenburger zweimal als Sieger und zweimal als Verlierer vom Platz; die Partie am ersten Spieltag der Regionalligasaison im Juli dieses Jahres endete 1:1 unentschieden. Im Ligaalltag wartet der FC nunmehr seit drei Spielen auf einen Sieg: Am vergangenen Spieltag ging man mit 1:5 bei der Berliner Hertha unter, davor stand das kuriose Acht-Tore-Spiel mit Punktrettung in letzter Minute gegen den SV Lichtenberg 47 und am 17. Spieltag verlor man auswärts mit 0:1 bei Babelsberg 03 in Potsdam. Der letzte Heimsieg – wohlgemerkt, einer von zwei Siegen in dieser Spielzeit – datiert auf den Oktober dieses Jahres, beim 3:0 zuhause gegen Tasmania Berlin. Die Auswärtsbilanz der Eilenburger spricht ebenfalls für die Mannen aus Leutzsch, denn auswärts konnte der FC in dieser Saison noch kein einziges Mal gewinnen und ging in 70 Prozent seiner Auswärtsspiele als Verlierer vom Platz.
Unbestreitbar starke Spieler finden sich, allen anderen Umständen und Resultaten zum Trotz, im Kader der Eilenburger dennoch. Unter anderem ist Adam Fiedler im offensiven Mittelfeld zu nennen, der in seinen bisherigen zehn Spielen in der Liga bei fünf selbst erzielten Treffern immerhin schon insgesamt sieben Torbeteiligungen beisteuern konnte. Ebenso nicht unerwähnt bleiben sollte der vom FC Erzgebirge Aue nach Eilenburg gekommene Noah Baumann: Der ebenfalls im offensiven Mittelfeld beheimatete 19jährige steuerte in den vergangenen beiden Partien ein Tor und einen Assist bei und ist eine der Stammkräfte des FC Eilenburg, bei der die Formkurve ein wenig nach oben zeigt.
In der Partie in Leutzsch verzichten muss Trainer Nico Knaubel, der seit 2015 die Geschicke der ersten Mannschaft an der Seitenlinie dirigiert, auf fünf Spieler aufgrund von Sperren und Verletzungen: Das Lazarett ist mit Dennis Kummer aus dem linken Mittelfeld, Mittelstürmer Christoph Jackisch (beide seit September), Christoph Bartlog (Juli) und Stürmer Tim Bunge (Juni) ausschließlich mit Langzeitverletzten aus der Zentrale und der Offensive belegt, Linksverteidiger Philipp Sauer fehlt gelb-rot-gesperrt. Vorsicht walten lassen müssen im Spiel gegen die BSG Chemie Anton Rücker und Pascal Sauer, welche beide, bei einer erneuten gelben Karte, im folgenden Heimspiel des FC Eilenburg gegen den FSV Luckenwalde fehlen würden.
Auf Seiten der BSG Chemie Leipzig gilt es, nach den vier Liganiederlagen in Folge, die Einzug haltende Frustration abzuschütteln und gegen die Eilenburger das so lange ersehnte Erfolgserlebnis einzufahren: Das letzte Mal, an dem es drei Punkte im Leutzscher Holz gab, war am 24. Oktober gegen Union Fürstenwalde. Es ist jedoch nicht alles schlecht in Leipzig-Leutzsch: Auch, wenn im Endeffekt – Fußball ist ja, so das geflügelte Wort, ein Ergebnissport – nichts zählbares dabei herum kam, waren die Leistungen der Grün-Weißen in den vergangenen vier Spielen durchaus ordentlich. Gegen den FC Energie Cottbus beispielsweise war mit Maximilian Pronichev einer der Topstürmer der Liga gegen die chemische Defensive um Kapitän Stefan Karau komplett abgemeldet und man ließ, mit Ausnahme der Minuten um die Halbzeitpause, effektiv keine Chance der Niederlausitzer zu. Dass nach einem Standardgegentor und einem schlecht geklärten und dann wunderbar und mit einer ordentlichen Portion Glück versenkten Sonntagsschuss direkt nach Wiederanpfiff das Spiel entschieden und in der Folge auch das Aufbäumen der BSG zu wenig und zu spät war, ist schlicht unglücklich. Als ebenso unglücklich muss man die Niederlage gegen den Stadtrivalen einschätzen: Dass im Derby Nuancen in Leistung und Spielglück spielentscheidend sein können, ist klar, auch wenn man über 90 Minuten eine kämpferische und geschlossene Mannschaftsleistung auf den Platz brachte. Das Spiel war vielleicht kein Augenschmaus, dafür emotional, kämpferisch, giftig und unsere chemische Elf mit dem Herz bei der Sache. Das Prädikat „absolut unnötig“ ist hingegen der Heimpleite gegen die VSG Altglienicke anzuheften: In dem Spiel belohnte man sich erneut nicht für eine kompakte und stabile Performance gerade gegen den Ball und fing sich ein – auf gut deutsch gesagt – absolutes Kacktor zum 0:1-Endstand (von der Verletzung Florian Brügmanns einmal ganz zu schweigen). Selbst in der Partie gegen den (zu diesem Zeitpunkt) Tabellenführer Berliner AK zeigte man bis in die Schlussphase eine grundsolide Leistung gegen einen Aufstiegsaspiranten, auch wenn mit 0:3 auswärts wieder keine Punkte aufs grün-weiße Konto kamen. Unglücklich, unnötig und dabei doch mit positiven Aspekten: Gegen vier Teams, die auf die Spitzenpositionen der Liga schielen und gegen die man bestimmt nicht als Favorit in die Partien ging, kassierte die BSG vier Niederlagen, die jedoch verkraftbar sind und die das Team um Trainer Miroslav Jagatic einfach so schnell wie möglich abschütteln sollte. Hierfür dürften die restlichen Kontrahenten des Kalenderjahres 2021, der FC Eilenburg (19.), Germania Halberstadt (15.), der ZFC Meuselwitz (14.), allesamt aus den unteren Tabellenregionen, passende Gelegenheiten darstellen.
Nicht zur Verfügung stehen Miroslav Jagatic nach wie vor die Verletzten Max Keßler, Lucas Surek und Andy Wendschuch aus dem chemischen Mittelfeld. Anton Kanther und Paul Horschig hingegen sollten, so sie denn spielen, eine Verwarnung vermeiden, da eine weitere gelbe Karte gegen Eilenburg eine Sperre im folgenden Spiel auswärts bei Germania Halberstadt zur Folge hätte. Ebenso bleibt zu hoffen, dass die nach ihren jeweiligen Verletzungen allmählich wieder in den Tritt und Richtung 100 Prozent kommenden Stammkräfte Florian Brügmann und Stephané Mvibudulu wieder ihre Qualitäten vollumfänglich auf den Platz bekommen können und dass auch Dennis Mast seinen bisher schlaglichtartig (dann aber auch deutlich) aufblitzenden Mehrwert in grün-weiß demonstrieren können wird.
Ebenso wie das Spiel gegen den FC Energie Cottbus werden auch für das kommende Heimspiel am 20. Spieltag der Regionalliga Nordost die Ränge des Alfred-Kunze-Sportparks, aufgrund der aktuell grassierenden COVID-19-Pandemie, der daraus resultierenden Lage und gesetzlichen Verordnungen im Freistaat Sachsen menschenleer bleiben. Für einen Verein wie die BSG Chemie Leipzig schmerzhaft, tragisch und doch im Sinne der gesellschaftlichen Solidarität völlig richtig.
Wer trotzdem so viel wie möglich vom grün-weißen Treiben der Leutzscher mitbekommen will, für den bietet sich diese Möglichkeit in unserem Live-Ticker, unserem Fanradio Fünfeck.FM – beides zu finden in der App der BSG Chemie Leipzig – sowie im Live-Stream entweder bei Ostsport.TV oder dem Mitteldeutschen Rundfunk MDR. Die Partie der Chemiker gegen den FC Eilenburg steht unter der Leitung des Schiedsrichters Bela Wiethüchter (Berliner SC), der bei diesem Spiel seine Premiere in der Regionalliga Nordost feiern darf (wir gratulieren an dieser Stelle); seine Assistenten hierbei sind Philipp Vierock und Kai Kaltwaßer. Anpfiff gegen die Rot-Blauen vom FC Eilenburg ist um 16 Uhr im Alfred-Kunze-Sportpark zu Leipzig-Leutzsch – Forza BSG!