Foto: Christian Donner
Nur vier Tage nach dem Punktgewinn in Lichtenberg (0:0) geht die BSG Chemie Leipzig erneut gegen einen Hauptstadtklub auf Punktejagd. Mit dem Berliner AK 07 kommt nicht nur ein weiteres Spitzenteam, sondern auch ein alter Bekannter mit grün-weißer Vergangenheit in den Alfred-Kunze-Sportpark. Anstoß ist um 16 Uhr. Erstmalig seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie werden wieder 2000 Chemiefans dem Spiel beiwohnen dürfen.
Jeder Regionalligaverein hat seine eigene, spannende Geschichte zu erzählen. Dies gilt auch für den Berliner Athletik Klub, kurz BAK. 1907 im Wesentlichen als Verein für diverse Laufdisziplinen gegründet und ein Jahr später um eine Fußballabteilung erweitert (siehe auch das Vereinslogo mit dem Flügelschuh und den Fußball), marschierte er von 1991 bis 1999 von der Kreis- bis in die Oberliga durch – und weckte damit das Interesse anderer Protagonisten im Berliner Amateurfußball. Nun wurde es wild: 2004 wurde der BSV Mitte, zuvor in Fachkreisen als Güneyspor und Fenerbahce Berlin bekannt, angeschlossen, womit der Klub seine multikulturelle Identität annahm, 2006 wurde eine „Kooperation“ mit dem türkischen Erstligisten Ankaraspor verkündet, inklusive Änderung des Namens in Berlin Ankaraspor Kulübü 07 (ja, immer noch BAK!) und der Farben hin zu Blau-Weiß, den Farben des damaligen türkischen Hauptstadtklubs. Das (finanzielle) Engagement aus dem Ausland war jedoch nur von kurzer Dauer, beim türkischen Mutterklub Ankaraspor hatten sie wohl selbst genug „Remmidemmi“ und drehten mit Beginn der Saison 2007/08 den Geldhahn zu. Vorläufiges Ergebnis: 70.000 Euro Schulden. Der BAK schaffte jedoch den Klassenerhalt, hielt das Schiff damit auf Kurs und qualifizierte sich als Berliner Pokalsieger 2010 sogar für den DFB-Pokal. Zwar war gegen Mainz schon in Runde Eins Schluss, immerhin hatten die Moabiter aber nun auch bundesweit auf sich aufmerksam machen können.
Eine weitere einschneidende Veränderung gab es nur ein Jahr darauf zu vermelden, als der BAK zu seinen Wurzeln zurückkehrte und seinen alten Namen Berliner Athletik Klub und die Farben Rot-Weiß annahm. Sehr erfreulich übrigens, dass der Klub auf seiner Homepage diese Rückbesinnung auf die eigentliche Vereinstradition auch explizit als „erfreulich“ betrachtet. Und weil es auch im Fußball anscheinend wirklich so etwas wie Karma gibt, stieg der alte, neue BAK am Ende der Saison in die Regionalliga auf, gewann 2012 zum zweiten Mal den Landespokal – und schmiss in DFB-Pokalrunde Eins Bundesligist Hoffenheim mit 4:0 raus. In der Regionalliga konnten sich die Berliner schnell etablieren und sogar zum Topteam avancieren. Eng verbunden ist der Erfolg des BAK mit dem Namen Mehmet Ali Han, der den Klub mit seiner Baufirma seit 2002 als Sponsor unterstützt und seit 2008 als Präsident strukturell gefestigt hat. Unter ihm verfolgen die Rot-Weißen seit geraumer Zeit ehrgeizige Ziele, wollen eigentlich gern in die 3. Liga aufsteigen.
In der Vorsaison wäre dies wohl auch ohne Corona nichts mehr geworden, in der Quotiententabelle belegten die Berliner „nur“ Platz 7. Auch die Trennung von Ex-Trainer Dirk Kunert verlief offenbar nicht ganz geräuschfrei. So ist es André Meyer, zuvor Co-Trainer von Bruder Daniel beim FC Erzgebirge Aue, der bei den Berlinern seit dieser Saison das Trainerzepter schwingt. Zurückgreifen kann er auf eine kunterbunte Mischung von 24 Spielern, darunter zwölf – teilweise sehr namhafte – Neuzugänge. Spieler wie Orhan Yildirim (von Energie Cottbus an alte Wirkungsstätte zurückgekehrt) oder Abdulkadir Beyazit (ebenfalls von Energie, insgesamt 22 Tore in 89 Regionalligaspielen, erst 23 Jahre alt) stehen für Offensivpower, Akteure wie Mittelstürmer Michel Ulrich (Hansa Rostock), Mittelfeldmann Lukas Lämmel (SSV Ulm) oder Innenverteidiger Charmaine Häusl (Großaspach) haben Drittligaerfahrung in petto. Freuen dürfen sich die Zuschauer aber nicht nur auf reichlich spielerische Klasse, sondern auch zwei weitere Personalien. Zum einen Abdallah El-Haibi, der in der vergangenen Winterpause zu Chemie hinzustieß, aber ohne Einsatz verblieb und sich in der Sommerpause dem BAK anschloss. Zum anderen Rintaro Yajima, der 2017/18 im grün-weißen Dress die Beine der gegnerischen Verteidiger verknotete und nach einjähriger Zwischenstation in Meuselwitz seit 2019 die Töppen für die Berliner schnürt.
Der eigene Saisonstart könnte aus Berliner Sicht als durchaus zufriedenstellend eingestuft werden. Oberflächlich betrachtet könnte man angesichts von sechs Punkten und 10:9 Toren zusammenfassen: Angriff hui, Verteidigung (noch) eher uiuiui. Die Voraussetzungen, um auch die Defensive weiter zu stabilisieren, sind angesichts der enormen Kaderstärke jedoch klar gegeben. Im Auftakt gegen Union Fürstenwalde, ein anderes Powerhouse der Regionalliga, gelang im heimischen Poststadion ein 3:2-Erfolg, bei Lok Leipzig unterlag man knapp 1:2 und nach der 1:3-Heimniederlage gegen den BFC Dynamo hätte man sogar von einem kleinen Fehlstart sprechen können. Doch dann hauten die 07er-Athleten am Mittwoch mal so richtig einen raus und fegten die Hertha-Bubis im Amateurstadion mit 5:2 vom Platz. Der BAK kommt also mit ordentlich Selbstvertrauen und ist nicht nur wegen seines starken Kaders Favorit, möchte ganz bestimmt eine kleine Serie starten.
Unsere Chemiker ihrerseits haben schon eine Serie am Laufen, nämlich die Ungeschlagen-Serie seit Saisonbeginn von vier Spielen. Das Torlos-Remis in Lichtenberg „unter der Woche“ ist trotz Übergewicht im zweiten Durchgang angesichts der Umstände – im Gegensatz beispielsweise zu unserem Gegner arbeiten die Leutzscher bekanntlich unter Amateurbedingungen und mussten quasi direkt aus dem Bus auf das Spielfeld stürzen – als Punktgewinn zu verbuchen. Im Alfred-Kunze-Sportpark müssen sich die Fünfeck-Träger aber vor keiner Mannschaft verstecken, zumal nach bisher geglückter Umsetzung des Hygienekonzepts nun immerhin 2000 Zuschauer zugelassen sind. Selbstredend sind die knapp 400 in den offenen verkauf gegangenen Tageskarten bereits vergriffen, die Partie also ausverkauft. Gemeinsam mit ihren Fans, die bei den bisherigen Heimauftritten aus der Not eine Tugend machten und ihre Elf in bester Oldschoolmanier anfeuerten, will Trainer Miroslav Jagatic mit seinen Schützlingen die Serie ausbauen, soll heißen mindestens einen Punkt im Leutzscher Holz behalten. „Gegen den BAK wird es richtig schwer, so eine englische Woche spürt man dann auch in den Beinen. Trotzdem wollen wir zu Hause im AKS vor unseren geilen Fans noch mal alles raushauen“, sagte Jagatic, der mit seinen Mannen die Zeit danach zum Regenerieren nutzen möchte. Die Berliner lobte er als spielstarke Truppe, die gegen Hertha fast jeden Fehler eiskalt zu bestrafen wusste. Ob er morgen wieder auf Stürmer Tomáš Petráček zurückgreifen kann, lässt sich aktuell noch nicht sagen. Auch will sich Jagatic taktisch freilich nicht in die Karten gucken lassen. Tatsache ist: In allen Spielen legten die Chemiker auf dem Feld eine vorbildliche Einstellung an den Tag, kämpften um jeden Ball und suchen im eigenen Ballbesitz den direkten Weg nach vorn. Mit diesen Tugenden und der Unterstützung von den Rängen wird unsere BSG auch gegen den BAK mit breiter Brust in die Partie gehen.
Das Spiel steht unter Leitung von Schiedsrichter Matthias Lämmchen (Meuselwitz), an den Linien assistieren ihm Johannes Schipke und Eugen Ostrin. Den Unparteiischen wünschen wir guten Amtieren!