
Foto: Christian Donner
Frühling lässt sein grün-weißes Band wieder flattern durch die Lüfte: Vögel zwitschern immer lauter, die Tage werden länger, die Sonne zeigt sich öfter und das bedeutet, dass es so langsam in die heiße Phase der Saison geht. Nachdem die BSG Chemie Leipzig am vergangenen Wochenende dem BFC Dynamo beim 1:1 im Alfred-Kunze-Sportpark einen Punkt abtrotzte, steht zum 30. Spieltag der Regionalliga Nordost das genaue Kontrastprogramm an. Auch für Optik Rathenow, die in der Tabelle nicht das rettende Ufer aus den Augen verlieren wollen, geht um alles, jedes Spiel ist ein Endspiel. Der FSV Optik Rathenow empfängt die BSG Chemie Leipzig morgen, am 20. März 2022, um 13 Uhr im Stadion Vogelsang in Rathenow.
Obwohl die Wurzeln des Vereins bis in das Jahr 1906 zurückgehen, beginnt die Geschichte des FSV Optik Rathenow mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Organisation des Spielbetriebs in der jungen DDR. Aus dem VfL Rathenow entstand 1950 die BSG Mechanik, welche ab 1953 bis 1990 als BSG Motor Rathenow antreten sollte. Erfolge gab es im Fußball zu DDR-Zeiten keine nennenswerten; die Brandenburger kamen nie über die Drittklassigkeit hinaus. Ab 1990 startete man als SV Optik Rathenow und trug so die hohe Verbundenheit und auch Abhängigkeit zu den Rathenower Optischen Werken (ROW) in seinem Namen. Bei den ROW war nach der politischen Wende wirtschaftlich Land unter und der Unterhalt einer nur dem Namen nach nicht professionellen Mannschaft schlicht nicht möglich.
Doch die Fußballabteilung des SV und auch ihre Nachwuchsmannschaften, unter der Leitung von Ingo Kahlisch, hatte durchaus Qualität vorzuweisen und so entschied man sich im Havelland 1991 zur Ausgliederung in den neuen Fußballsportverein Optik Rathenow. Für das Team ging es in den folgenden Jahren stetig bergauf: Über die Amateuroberliga schaffte man sensationell den Aufstieg in die damals dritthöchste Spielklasse, die Regionalliga Nordost, in der man dank des ebenso sensationellen Klassenerhalts Mannschaften wie dem 1. FC Union und Tennis Borussia Berlin, dem FC Erzgebirge Aue oder dem FC Sachsen Leipzig, auch in der Folgesaison spielte.
Mit dem Abstieg 1996 begannen magerere Zeiten in Rathenow. 16 Jahre lang, bis zum erneuten Aufstieg in die Regionalliga Nordost 2012, kam man nicht über die Oberliga hinaus und rutschte für zwei Spielzeiten (2005–2007) sogar in die Verbandsliga ab. Parallel dazu wurde unentwegt im und am Verein und auch am Stadion Vogelgesang gearbeitet, die Strukturen und Möglichkeiten verbessert. 2012 kehrte man, wie erwähnt, für eine Saison in die Regionalliga zurück, weder der Klassenerhalt noch der direkte Wiederaufstieg wollten hingegen gelingen – damit kann man bei Optik im Nachhinein wohl aber durchaus leben, denn im Austausch für zwei Saisons in der Oberliga holte man zwei Jahre in Folge, 2013 und 2014, den Brandenburgischen Landespokal und durfte in den darauffolgenden ersten Runden des DFB-Pokals den FSV Frankfurt und den FC St. Pauli im Havelland begrüßen.
Einen Ausflug in die vierthöchste Liga, wenn auch nur für ein Jahr, machte Optik in der Saison 2015/16 und seit 2018 sind die Männer in rot nun durchgehend in der Regionalliga Nordost zu finden. Um einen Namen kommt man quer durch die letzten drei Jahrzehnte nicht herum: Ingo Kahlisch. Mit Ingo Kahlisch steht eine echte Legende des nordostdeutschen Fußballs nach wie vor an der Seitenlinie des FSV Optik Rathenow. Der 65jährige gebürtige Babelsberger übernahm die Leitung der ersten Mannschaft am 1. Juli 1989 und geht somit in sein 33. Jahr (!) als Cheftrainer von Optik.
Doch seinem Team steht in der Tabelle das Wasser bis zum Hals: Abstiegskampf, knallhart, existentiell, es geht ums Überleben in der Regionalliga. Die Männer von Ingo Kahlisch stehen auf dem 18. Platz der Staffel. Von 29 gespielten Partien ging über die Hälfte verloren, gegen magere drei eigene Siege sind elf Unentschieden (der Spitzenwert in der Liga) ein schwacher Trost. Mit nur 31 Toren in 29 Spielen (im Schnitt 1,06 Tore pro Spiel) stellt man eine der schlechtesten Offensiven der Liga und so ist eine der Wurzeln der Tabellenmisere schnell identifiziert.
Denn die ist nicht von der Hand zu weisen und auch Ingo Kahlisch ließ verlauten, dass jetzt jedes Spiel ein Endspiel ist: Der Abstand nach oben wird zu groß, der Abstand nach unten zu klein. Gerade jetzt, wo der NOFV durch die Ablehnung der auch von Seiten des FSV Optik gestellten Anträge am Freitag die Verkleinerung der Regionalliga Nordost auf 18 Mannschaften im Sommer bestätigt hat, werden die Sorgen im Havelland ein wenig ärger.
Alle seine Siege in dieser Saison holte der FSV Optik auf eigenem Platz, dem 5000 Zuschauer:innen Platz bietenden Stadion Vogelgesang. Neben drei der elf Remis stehen allerdings auch neun Niederlagen zuhause zu Buche. Außer dem VfB Auerbach und Rathenow haben alle anderen Teams auf den letzten sechs Plätzen darüber hinaus ein Spiel weniger. Gerade die beiden Teams am Tabellenende, Tasmania Berlin und der FSV Union Fürstenwalde, könnten mit Punkten in ihren Nachholern gegen Jena beziehungsweise Halberstadt die Situation für Rathenow noch brenzliger werden lassen; Fürstenwalde ist dank Sieg gegen Tasmania auf einen Punkt dran. In der anderen Richtung drohen auch der FC Eilenburg und besagter VfB Germania Halberstadt, die zuletzt beide mit starken Leistungen gegen die VSG Altglienicke und den Berliner AK punkteten (Eilenburg sogar dreifach), den Abstand weiter zu vergrößern und den Rathenowern zu enteilen.
Wie steht es also um den FSV in dieser Phase der Saison? Den schnellen Offensivmännern des FSV wird eine wichtige Rolle zukommen, die Ausbeute vor dem Tor muss besser werden, wenn es mit dem Klassenerhalt klappen soll. Topscorer ist Jonathan Muiomo von der linken Offensivseite. Der 23jährige Deutsch-Mosambikaner war mit viel Dynamik und seiner Geschwindigkeit bereits an 13 Toren beteiligt, von welchen er sieben selbst erzielte. Rathenows bester Torschütze, der mit 22 Jahren ebenfalls junge Mittelstürmer Lucas Will, kommt mit acht Toren und zwei Assists auf zehn Torbeteiligungen in dieser Saison. Gerade bei Kontern wird Optik offensiv gefährlich, bevorzugt soll bei den Rathenowern schnelles, geradliniges Spiel über die Flügelspieler zum Torerfolg führen.
In der zurückliegenden Winterpause veränderte sich der FSV auf Kaderebene noch einmal deutlich: Vier Spieler haben den Verein verlassen, lediglich Rechtsverteidiger Max Bell Bell erhielt von diesen vieren bei der SG Barockstadt aus Fulda in der Hessenliga einen neuen Kontrakt. Neu ins Team kamen, in Rathenow hat Jugend System, zwei in Jugendakademien von Bundesligisten ausgebildeten Spieler, die ohne Verein waren: Der 19jährige Linksverteidiger Lloyd-Addo Kuffour lernte das Fußballspielen bei Borussia Dortmund, der 21jährige William Justin Kabuya auf der rechten Außenbahn durchlief die Jugendmannschaften der Eintracht aus Frankfurt.
Ebenjener William Justin Kabuya machte bisher jedoch nur ein Spiel für Optik und fällt bereits seit einem im Januar gegen den FC Eilenburg erlittenen Kreuzbandriss verletzt aus. Ebenso verzichten muss Kahlisch im Spiel gegen die Leipziger auch auf Lloyd-Addo Kuffour, der nach einer krankheitsbedingten Pause maximal für einen Platz auf der Bank in Frage kommen wird. Wieder zur Mannschaft stößt für das Spiel am Sonntag Innenverteidiger Glodi Zingu nach abgesessener Gelbsperre.
Auch bei der BSG Chemie Leipzig gab und gibt es einige Bewegung im Vorfeld der Partie in Brandenburg. Herzlich willkommen zurück, Florian Brügmann und Philipp Wendt! Die beiden Chemiker standen nach ihren seit Mitte Januar andauernden Pausen, aufgrund eines Innenbandanrisses am Knie bei Brügmann und einer Schulterverletzung bei Philipp Wendt, am vergangenen Wochenende beim Heimspiel gegen den BFC Dynamo wieder auf dem Rasen und spielten beide wieder ihre ersten Minuten. Auch Anton Kanther kehrt nach dem aufgrund einer Gelbsperre verpassten Spiel gegen den Tabellenführer wieder als Option für die Startelf zurück, wohingegen für Denis Jäpel, Tarik Reinhard und Timo Mauer bei der nächsten Verwarnung ein Spiel Zwangspause droht.
Weiter verzichten muss das Team um Miroslav Jagatic auf die bisherigen schon länger verletzten Chemiker wie Max Keßler und Stephané Mvibudulu. Ebenso fehlen werden auch Manuel Wajer und Neuzugang Isidor Akpeko, welcher mit Herzproblemen ausfällt. Zu ihnen gesellen sich zur Zeit noch der zweite der Gebrüder Keßler, Ben, unsere Nummer zwei im Tor, Jonas Janke und Vollblutchemiker Benjamin Schmidt, die aufgrund von Corona nicht im Kader stehen können.
Die jüngsten Ergebnisse sind in der Punktausbeute bei beiden Teams identisch – ein Sieg, ein Remis und drei Niederlagen in fünf Spielen bedeuten vier Punkte. Rathenow steht auf eigenem Platz unter Druck und Zugzwang, was den Chemikern in ihrem Spiel entgegenkommen dürfte. Auch die bisherige Regionalligabilanz spricht für Chemie: Drei Partien fielen in den vergangenen beiden Spielzeiten aus (in der Saison 2020/21 beide Spiele), doch in bisher zwei Partien konnten die Brandenburger die BSG noch nicht schlagen. Der letzte Sieg von Chemie war in der Saison 2019/20, per Elfmeter traf Tommy Kind zum 1:0-Endstand. Nach frühem Rückstand durch Abdullah Dzafo traf Florian Brügmann in der Hinrunde dieser Saison (1:1) auf Vorlage von Anton Kanther.
Der FSV Optik Rathenow empfängt die BSG Chemie Leipzig am morgigen Sonntag, 20. März 2022 im Stadion Vogelgesang in Rathenow. Das Spiel findet unter 3G-Bedingungen statt, alle nötigen Infos für Fans haben wir in einem separaten Post für euch zusammengefasst. Wie immer steht für alle, die das Spiel aus der Ferne verfolgen wollen, unser Live-Ticker und unser Fanradio Fünfeck.FM zur Verfügung, am einfachsten zu finden in der App der BSG Chemie Leipzig. Anpfiff ist um 13 Uhr, das Spiel steht unter der Leitung von Schiedsrichter Rasmus Jessen vom FSV Berolina Stralau. Die Spatzen pfeifen es schon von den Dächern, hier und anderswo: Drei Punkte für Chemie – auf dass die Vögel in Rathenow Leutzscher Lieder singen. Forza, BSG!
kiro