Leipzig-Leutzsch: Es gibt wenige Stadtteile, deren Name so eng mit einem Fußballverein verbunden ist, wie Leutzsch. Von der Mannschaft wird als „die Leutzscher“ gesprochen, man spielt im Leutzscher Holz und die Fans zelebrieren den Stadtteil als Teil von Fankultur und Stadionfolklore. Neuerdings ist sogar die Rede vom „Königreich Leutzsch“. Dabei liegt in der Geschichte Leutzschs wenig Königliches. Im Westen der Messestadt gelegen schrieb der Stadtteil seine ganz eigene Geschichte. 1922 eingemeindet, war Leutzsch mit seinen Fabriken und Arbeiterblöcken auf der einen und dem Villenviertel auf der anderen Seite ein Spiegelbild der Industrialisierung und Moderne. Gründerzeithäuser finden sich ebenso wie die moderne Architektur des Bauhauses und Glasfassaden der Neuzeit. Doch auch Brachflächen, Leerstand und heruntergekommene Fabriken zeigen sich beim Weg durch den Stadtteil. Der angrenzende Auenwald, der auch den Alfred-Kunze-Sportpark umschließt, zeigt dagegen eine vielfältige Flora und Fauna und lädt zum Erholen ein. Trotz der Vielfältigkeit und einer stadtauswärts fortschreitenden Gentrifizierung und Aufwertung sowie dem Zuzug junger Menschen und Familien, bleibt die Geschichte als Arbeiterstadtteil unübersehbar und ist eng verbunden mit dem Sportpark und den dort über die Jahre beheimateten Vereinen. Wenn also über die 100-jährige Geschichte des Alfred-Kunze-Sportparks erzählt wird, dann gehören dazu auch die Ereignisse und Entwicklung des Stadtteils, der immer auch eng verbunden war mit seinen Nachbarn – besonders Lindenau und Böhlitz-Ehrenberg. Im Zentrum steht die Magistrale Georg-Schwarz-Straße, die von 1886 bis 1933 in Lindenau noch Gundorfer Straße und in Leutzsch zunächst einfach Hauptstraße bzw. Barneckerstraße und ab 1926 Friedrich-Ebert-Straße hieß. 1933 wurde die gesamte Länge in Schlageterstraße umbenannt – einem Mitglied rechter Freikorps, welcher von den Nationalsozialisten zum Märtyrer stilisiert wurde. Seit 1945 schließlich heißt die Hauptverkehrsader Georg-Schwarz-Straße. Von ihr ausgehend, sollen im folgenden Rundgang einige ausgewählte historische Ereignisse dokumentiert und dargestellt werden, die exemplarisch für die bewegte Stadt- und Stadtteilgeschichte stehen – und für die BSG Chemie Leipzig und ihr Stadion.
STADTTEILRUNDGANG LEUTZSCH
Wenn man die ersten Meter der Georg-Schwarz-Straße entlangschreitet, so beginnt hier vom Gefühl her schon Leipzig-Leutzsch. Tatsächlich ist dessen Grenze erst hinter dem Diakonissenkrankenhaus und die ersten gut 800 Meter der Magistrale gehören zu Altlindenau. Doch sind beide Stadtteile kulturell, historisch und infrastrukturell eng miteinander verbunden. Hier, auf den ersten Metern – bis zur Uhlandstraße – befand sich vor knapp einhundert Jahren ein Abschnitt, der „Reeperbahn“ genannt wurde. Wo sich heute durch Spätverkäufe, Bars, Kneipen oder Hausprojekte eine neue Szene- und Kiezkultur zu entwickeln beginnt, befand sich in den 1920er und 1930er Jahren die Vergnügungsmeile des Leipziger Westens. Mehreren Kinos, Bars und Cafés zogen die Menschen an.
Hier, in der Georg-Schwarz-Straße 24, war der letzte Wohnort des Leipziger Kommunisten und Widerstandskämpfers Georg Schwarz. Dieser wurde am 27. März 1896 in Zwenkau bei Leipzig geboren. Nachdem sich Schwarz zunächst freiwillig als Soldat im 1. Weltkrieg gemeldet hatte, führte ihn sein Weg nach Kriegsende in den Soldatenrat nach Saalfeld. Nach anfänglich sozialdemokratischem Denken wandte er sich der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) bzw. folgend der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) zu. Für diese war er auch im Betriebsrat der Eisengießerei Max Jahn in Leipzig-Leutzsch tätig. Zu Beginn der 1920er Jahre zog Schwarz mit seiner Frau Wilhelmine und dem Stiefsohn Martin in die damalige Gundorfer Straße 24. 1924 wurde die gemeinsame Tochter Sonja geboren. Schwarz wurde 1929 politischer Sekretär des nördlich des Erzgebirges liegenden Wahlbezirk Flöha. Dem folgte das Mandat im sächsischen Landtag für das Jahr 1929. Nach der Machtübertragung an die NSDAP wurde Schwarz aufgrund seiner KPD-Mitgliedschaft im März 1933 verhaftet. Nach etwa einem Jahr in Haft, die er unter anderem in den frühen Konzentrationslagern Burg Hohnstein und Sachenburg verbrachte, folgte die Entlassung und er wurde Teil des kommunistischen Widerstandes in Leipziger Westen. Wann dies genau geschah, lässt sich nicht mehr exakt rekonstruieren, jedoch sind Gespräche dokumentiert, in denen er im Frühjahr 1939 ehemalige Genossen für die Widerstandsarbeit bei Spaziergängen im Leutzscher Holz anzuwerben versuchte. Schwarz war zu Beginn seiner Tätigkeit im Leipziger Widerstand in der KPD-nahen Gruppe um die ehemaligen Landtagsabgeordneten Arthur Hoffmann, William Zipperer und Karl Jungbluth organisiert, wurde aber mit der Gründung des „Nationalkomitees Freies Deutschland“ im Umkreis des ehemaligen Kommunistischen-Partei-Opposition (KPDO/KPO)-Abgeordneten Otto Engert und des ehemaligen Reichstagsabgeordneten Georg Schumann verortet. Hier übte er vor allem redaktionelle Tätigkeiten aus und war Mitautor und Verleger der illegalen Zeitung „Widerstand gegen Krieg und Naziherrschaft“. Ziel des Widerstandes war es vor allem, Einfluss auf die Arbeiterschaft in rüstungswichtigen Betrieben zu gewinnen, um dort sogenannte Betriebszellen zu gründen, die dann gezielt agitierten und versuchten, die Produktion zu sabotieren. Am frühen Morgen des 19. Juli 1944 wurde Schwarz erneut verhaftet. Der Gestapo war es gelungen, im Netzwerk der Kommunisten den V-Mann Fritz Brüderlein einzuschleusen. Dessen Aussagen und die Ergebnisse von Verhören zuvor verhafteter Widerstandskämpfer in Berlin sorgten für das Todesurteil von Schwarz wegen „Wehrkraftzersetzung, Vorbereitung zum Hochverrat und Feindbegünstigung“. Das Gnadengesuch der Tochter wurde nicht erhört und Georg Schwarz wurde am 12. Januar 1945 in Dresden hingerichtet. Auf Initiative von Freunden und ehemaligen Mitstreitern wurde die Gundorfer Straße bereits 1945 in Georg-Schwarz-Straße umbenannt. Es folgte die Umbenennung des Leutzscher Stadions in Georg-Schwarz-Sportpark 1949 und die Einweihung einer Erinnerungstafel im Sportpark 1966, die heute wieder vor dem Vereinshaus zu finden ist. Ein Stolperstein wurde 2009 erstmalig vor dem ehemaligen Wohnhaus von Georg Schwarz verlegt und 2021 ein weiteres Mal, nachdem dieser entwendet wurde.
Fotos: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
Wenn du ein wenig Zeit sparen willst, dann nutze die Straßenbahn und fahre eine Haltstelle von der Wielandstraße bis zum Diakonissenhaus.
Hier, wo heute ein Einfamilienhaus steht, stand über Jahrzehnte das Lokal mit Ballsaal „Schwarzer Jäger“. Bevor es ab 2005 stillgelegt und abgerissen wurde, war es ein ständiger Anlaufpunkt sowohl für Aktivisten der Arbeiterbewegung als auch für die vergnügungswillige Jugend. Hier war während des Widerstands gegen den Kapp-Lüttwitz-Putschs einer der zentralen Sammelpunkte der Arbeiter des Leipziger Westens. Hier hielt der ehemalige KPD-Vorsitzende und von den Nazis ermordete Ernst Thälmann am 17. März 1925 eine Rede. Hier war das Vereinslokal des TV Jahn Leutzsch, der im Sportpark spielte. Schon während des Krieges, wurde der „Schwarze Jäger“ zum Auffanglanger und Sammelpunkt für Flüchtlinge. Später wurde es zum Klubhaus und Jugendclub. Auch viele Chemiefans fanden sich hier vor und nach den Spielen zum Feiern ein. Zeitzeugen berichten nicht nur von schlaflosen Nächten, sondern auch von zahllosen Schlägereien. Teilweise kam es dabei zu Rivalitäten zwischen den Jugendlichen der einzelnen Stadteile, die sich im Ballsaal trafen: Plagwitzer gegen Leutzscher gegen Lindenauer gegen Böhlitzer. Das Haus fiel letztendlich dem baulichen Verfall in der DDR und dem Niedergang des Viertels in der Nachwendezeit zum Opfer.
Fotos:
1 bis 6 – Kirst, Monika, Leutzsch: erlebt, erkundet, zugehört. Bd.2. Böhlitzer Hefte, Werbeagentur Kolb, Leipzig, 2017.
7 – Arndt, Helmuth/Wagner, Woldemar, Ernst Thälmann und der Kampf der revolutionären Arbeiter Leipzigs. SED-Bezirksleitung Leipzig, Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung Leipzig, 1975.
Der nächste Punkt erwartet dich an der Ecke zur Sattelhofstraße, in Sichtweite zum Leutzscher Rathaus.
Hier an der Ecke Georg-Schwarz-Straße, Ecke Sattelhofstraße, wo heute die Kneipe „Sportplatz Klause“ zu finden ist, war früher das „Kaffeehaus Carola“.
Lange hatten es die Nationalsozialisten schwer in Leutzsch und den anderen Stadtteilen des „roten Westen“ Fuß zu fassen. Bei Demonstrationen und Veranstaltungen kam es zu Angriffen und Auseinandersetzungen und in vielen Lokalitäten waren die Nazis nicht erwünscht. Oft griffen die Faschisten auf Lastwagen zurück, um sich durch den Westen zu bewegen. Gewalt war ein ständig präsenter Teil der politischen Auseinandersetzungen in den 1920er und früheren 1930er Jahren. So berichtete die kommunistische SAZ am 27. Oktober 1930. „Harte Proletarierfäuste verjagten die faschistischen Knüppelgarden aus den Straßen des roten Westens“ nach einer SA-Demonstration durch Leutzsch, bei der es zu Verletzten auf beiden Seiten kam.
Das Kaffeehaus war das erste Haus in Leutzsch, das Naziorganisationen willkommen hieß und auch für Veranstaltungen Platz bot – sogar noch vor der Gründung der NSDAP-Ortsgruppe 1931. Diese fand ihr „Verkehrslokal“ unweit von hier in der Gaststätte „Wartburg“ in der heutigen Hans-Driesch-Straße 34. Durch den Park hindurch am Wasserschloss, fand sich das erste SA-Heim. Mit der Machtübertragung an die Nationalsozialisten brach allerdings auch in Leutzsch der offene Widerstand zusammen. Zwar lässt sich an den geringen Zustimmungswerten zum „Anschluss“ Österreichs und der Beschwerde der NSDAP-Ortsgruppe über mangelnde Hakenkreuzfahnen 1939 zeigen, dass der Geist des „roten Westens“ nicht ganz verloren ging, doch verharrten viele Kommunisten oder Sozialdemokraten in Lethargie oder passten sich an. Andere wurde verhaftet und zum Teil ermordet. So fügte sich auch Leutzsch ein in die nationalsozialistische „Gleichschaltung“.
Fotos:
1 – Stadtgeschichtliches Museum der Stadt Leipzig
2 bis 4 –Kirst, Monika, Leutzsch: erlebt, erkundet, zugehört. Bd.2. Böhlitzer Hefte, Werbeagentur Kolb, Leipzig, 2017.
5 – Kirst, Monika, Leutzsch: erlebt, erkundet, zugehört. Bd.1. Böhlitzer Hefte, Werbeagentur Kolb, Leipzig, 2016.
Sollte es dir zu weit sein, kannst du vom Rathaus Leutzsch aus auch zwei Haltestellen mit der Straßenbahn fahren. Die Haltestelle heißt ebenfalls Phillip-Reis-Straße.
„Unsere Genossen […] haben Aufrufe erlassen, wir sollen alle weiße Tücher aus den Fenstern hängen. Als wir dann die Amerikaner auf der Straße anfahren hörten, da war es ganz weiß vor Tüchern und dann hatten Menschen schon die ersten Birkenzweige den Amerikanern auf die Panzer geworfen. Man erzählt, in keiner Stadt wären sie so empfangen worden wie in Leipzig. […] Der Einmarsch der Amerikaner war schön!“ So berichtet Sonja Kurella-Schwarz, die Tochter Georg Schwarz‘, über das Einrücken der Amerikaner in Leipzig. Diese nahmen unter anderem aus Böhlitz-Ehrenberg kommend über die heutigen Georg-Schwarz-Brücken die Stadt ein. Der Kampf um die Stadt dauerte vom 18. bis 21. April 1945. Während sich der Widerstand gegen die amerikanischen Truppen vor allem auf das Rathaus, den Hauptbahnhof und insbesondere das Völkerschlachtdenkmal konzentrierte, gab es im Westen der Stadt keinen nennenswerten Kämpfe. Stattdessen kamen den Soldaten in Leutzsch lange Reihen von Polizisten entgegen, die sich ergaben und verhaften ließen. An anderer Stelle, wie in der nahen Rietschelstraße, entwaffneten Zivilisten sogar Teile des Volkssturms und verhinderten so weitere Todesopfer.
Am 2. Juli 1945 übernahmen die sowjetischen Truppen die Stadt von den Amerikanern.
Fotos: Filmausschnitte National Archives, Archiv Moeller History
Mittlerweile verfallen, steht an der Leipziger Straße und damit schon zu Böhlitz-Ehrenberg gehörend, das ehemalige Heim der „Interessengemeinschaft für Arbeiterkultur“, kurz „IfA“. Das Haus wurde 1890 als Gasthaus in Betrieb genommen und war dabei vor allem eine Anlaufstelle für Fuhrleute. Im Jahr 1900 kam noch ein Tanzsaal hinzu, doch nachdem das Haus in den Jahren nach dem 1. Weltkrieg als Fellhandel genutzt wurde, wurde es nach Aufgabe der Konzession 1923 zunächst wieder geschlossen. Drei Jahre später erfolgte die Wiedereröffnung. Die Gaststätte „Zum Ritterschlösschen“ wurde zum Anlaufpunkt der Kommunisten. Die KPD nutzt es ebenso wie die Rote Hilfe ehe es vom Rotfrontkämpferbund gepachtet wurde und die IfA das Haus übernahm. Die IfA hatte, von der KPD gegründet, das Ziel kommunistische Künstler und Kulturschaffende zu vereinen um gemeinsam „eine Front“ gegen alle nicht kommunistischen Kulturerzeugnisse zu bilden. Das Spektrum der Ablehnungen bildeten dabei sowohl sozialdemokratische als auch bürgerliche und faschistische Akteure und Organisationen. Sogenannte Ortskartelle bildeten die Organisationseinheiten. Geschmückt mit Parolen und kommunistischen Losungen (siehe Fotos) war das IfA-Heim ein Ort für Feiern, Polit- und Kulturveranstaltungen und so ein wichtiger Standort politischer Arbeit und politischen Lebens in unmittelbarer Nähe zum Sportpark, der weit über das Viertel hinaus Ausstrahlungskraft entfaltete und der auch Bezug zum Leben im Sportpark hatte. Das gefiel nicht allen und so war es der Gemeinderat Böhlitz-Ehrenberg, der sich über die Parteilosungen zur Wahl 1933 beschwerte – sie mussten schließlich entfernt werden.
Noch im Februar 1933 fand hier der Landeskongress der Rotsportler der Kampfgemeinschaft Sachsens mit 600 Mitgliedern statt, zu dem auch viele Sportler aus angrenzenden ATSB-Vereinen, erschienen und die Einheit der Arbeitersportler beschwörten. Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten und der Zerschlagung aller kommunistischen Organisationen wurde das Haus ab 1933 stillgelegt. Nach dem 2. Weltkrieg fungierte es als Wohnhaus für 15 Mietparteien. Nicht immer einfach mit der Elguwa und ihrer Gummiwarenproduktion „im Rücken“. Nach der „Wende“ wurde das Haus aufgegeben und soll im Zuge der Sanierung der Georg-Schwarz-Brücken abgerissen werden.
Fotos: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
Direkt an der Grenze von Böhlitz-Ehrenberg und heute von der Straße am Ritterschlösschen gut einsehbar befand sich einer der Standorte des aus mehreren Betriebsteilen bestehenden VEB Leipziger Gummiwarenfabriken, ab 1968 VEB Leipziger Gummi Waren, kurz „Elguwa“. Der Betrieb war auf Gummi- und Chemiewerkstoffe spezialisiert. Seit 1958 war der Betrieb gemeinsam mit dem VEB Farben- und Lackfabrik Leipzig, der wiederum zur Vereinigung Volkseigener Betriebe (VVB) Kombinat Lacke und Farben (Lacufa) gehörte, Trägerbetrieb der BSG Chemie Leipzig, während letztere schon seit 1950 Trägerbetrieb waren. Die Trägerbetriebe fungierten als wirtschaftliches und strukturelles Rückgrat des Vereines, waren personell in der Leitung der BSG involviert und stellten aus ihrem Etat Geld für den Spielbetrieb (wie zum Beispiel Spielergehälter) zur Verfügung. Seit 1964 war die spätere Elguwa zudem Besitzer des Sportparks und somit für Umbaumaßnahmen und die Instandhaltung des Sportparks verantwortlich. Nach dem Ende der DDR wurde am 28. Juni 1990 die Produktions- und Vertriebsgesellschaft für Gummi- und Chemiewerkstoffe Elguwa Leipzig GmbH als Rechtsnachfolger gegründet, die wiederrum 1991 liquidiert wurde. Für den Verein, der nun schon FC Sachsen Leipzig hieß, bedeutete das, wie für viele andere ehemalige Betriebssportgemeinschaften, den Verlust des wichtigsten finanziellen Rückhalts und somit große Unsicherheiten im gesellschaftlichen Transformationsprozess. Das ehemalige Betriebsgelände zerfiel und wurde letztendlich bis auf ein Gebäude abgerissen.
Fotos:
1 und 2 – SLUB / Deutsche Fotothek / Rössing, Roger & Rössing, Renate
3 – Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
4 bis 7 – Martin Schramme (www.partifakte.de)
Blickt man von hier aus auf die Gleise, die vom Leutzscher Bahnhof stadtauswärts führen, so blickt man auf den Ort, an dem ein Fußballfan sterben musste. Das Spiel des FC Sachsen Leipzig gegen den Berliner FC im November 1990 fiel in eine Zeit des Umbruchs, in der die DDR aufgehört hatte als Staat zu existieren, die BRD und deren Strukturen aber noch nicht auf allen Ebenen vollständig etabliert waren. Es entstanden zum Teil chaotische Zustände und Räume, in denen die Polizei nur schwer Kontrolle ausüben konnte. Das Umfeld von vielen ostdeutschen Stadien gehörte an Spieltagen dazu, so auch Leipzig-Leutzsch. Im Vorfeld des Spiels gegen den ehemaligen BFC Dynamo kam es zu Gewaltaufrufen und den damit verbundenen Gerüchten. Nach Auseinandersetzungen am Hauptbahnhof und zwischen den bereits im Gästeblock befindlichen Gästefans, Heimfans, Fans des VfB Leipzig und der Polizei entschied letztere die Berliner, die noch auf dem Weg zum Sportpark waren, trotz gültiger Eintrittskarten nicht ins Stadion zu lassen.
Was folgte, waren schwere Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Fans. Die Situation spitzte sich immer weiter zu. Die Polizei setzte Tränengas und Schlagstöcke ein, die Berliner Fans antworteten mit Steinen und Flaschen. Schließlich erteilte der Einsatzleiter Karl-Heinz Krompholz den Schießbefehl. Eine der Kugeln traf den 18-jährigen Mike Polley tödlich, vier weiter Berliner wurden schwer verletzt. Die Aussagen zum genauen Hergang widersprechen sich. Während die Polizei von einer Situation der Bedrängnis sprach, berichten Berliner Augenzeugen, dass ohne Warnschüsse auf davonlaufende Fans geschossen wurde. Im Nachgang des Spiels veranstalteten am 21. November 1990 200 Leipziger Hooligans einen Gedenkmarsch. Ein Redner sprach vom „Kameraden, der im Kampf gefallen ist“. Anschließend zog die Gruppe mit „Sieg Heil“- und „Ausländer raus“-Rufen über die Georg-Schwarz-Straße – unter ihnen auch Fans des FC Sachsen. In Berlin selbst kommt es zu einem großen Schweigemarsch, der problemlos über die Bühne geht.
Es kommt es zu 80 Ermittlungen gegen bekannte und 74 gegen unbekannte Personen – darunter auch gegen Polizeibeamte wegen des Verdachtes von Totschlag und Körperverletzung im Amt. Im April 1992 werden die Untersuchungen eingestellt. Bis heute sind die genauen Umstände des Todes Mike Polleys nicht aufgeklärt. An Mike Polleys Tod erinnert heute eine Gedenktafel am Leutzscher S-Bahnhof, die dort von der Fanszene der BSG Chemie Leipzig angebracht wurde.
Mittlerweile zerfallen und zu großen Teilen abgerissen stehen am ehemaligen Leutzscher Bahnhof nur noch die Reste eines geschichtsträchtigen Ortes, der nicht nur der erste Anlaufpunkt für hunderttausende Fußballfans auf dem Weg von und nach Leutzsch war, sondern auch ein bedeutender Ort der Geschichte. Wenn es um Kämpfe am Leutzscher Bahnhof geht, erinnern sich viele Fans wohl als erstes an die großen Auseinandersetzungen zum Beispiel gegen die Anhänger von Union Berlin, die hier stattfanden. Dabei ist der Begriff „Leutzscher Kämpfe“ historisch definiert und bezeichnet die Kämpfe rund um den Bahnhof von 1919.
In Folge der Zuspitzung des Konfliktes um die Zukunft des Deutschen Reiches riefen im Januar 1919 die Mitglieder der USPD und KPD zu einer Großdemonstration in Berlin auf. Ihr Ziel war es, eine Räterepublik auf deutschen Boden zu realisieren. Es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen roten Matrosen und der Reichswehr. Als am 5. Januar der Spartakusaufstand ausbrach, regierte in Leipzig immer noch ein Arbeiter- und Soldatenrat, dominiert von der USPD und der KPD. Um sich mit den Aufständischen zu solidarisieren, beschloss der Leipziger Arbeiter- und Soldatenrat einen Generalstreik auszurufen. Ebenso sollte verhindert werden, dass Reichswehr und Freikorps über Leipzig nach Berlin gelangten, um dort gegen die Aufständischen zu kämpfen. Am 9. Januar 1919 wurde bekannt, dass ein Freikorps-Regiment Leipzig-Leutzsch passieren würde. Umgehend setzten sich Volkswehren und rote Matrosen in Bewegung, um dies zu verhindern. Gemeinsam mit Bahnarbeitern wurden die Weichen blockiert und der Zug mit den Soldaten gestoppt. Die Offiziere wurden aufgefordert, ihre Waffen niederzulegen und nach Süddeutschland zurückzukehren, was diese verweigerten. Infolgedessen kam es zu einer Schießerei, bei der vier Soldaten und zwei Matrosen getötet wurden. Letzten Endes mussten sich die Freikorps ergeben und ihre Waffen der Volkswehr aushändigen. Die Soldaten wurden daraufhin gezwungen den Rückweg anzutreten und die beschlagnahmten Waffen wurden in Leipzig versteckt. Diese Waffen tauchten ein Jahr später in den Händen der Arbeiter auf, die Leipzig-Leutzsch gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch sicherten. In der DDR wurde in Erinnerung an die sogenannten „Leutzscher Kämpfe“ ein Gedenkstein am Bahnhof Leutzsch verlegt. Dieser ist jedoch bei Umbaumaßnahmen in den 1990er Jahren abgetragen worden und wird seitdem vom Leipziger Kulturamt verwahrt.
Fotos:
1 – privat
2 – Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
3 bis 9 – Falk Brunner
Viele der im Stadtteilrundgang gezeigten historischen Ereignisse oder Entwicklungen fanden ihren Widerhall auch im Leutzscher Sportpark – andere nahmen hier sogar ihren Anfang. Seit nunmehr über 100 Jahren wird in der Nähe des Leutzscher Bahnhofs – vor allem, aber nicht nur – Fußball gespielt. Aus dem Bedürfnis nach einem Platz zur Ertüchtigung entstanden wurde der Sportpark mit den Jahren und Jahrzehnten zu einem Ort, an dem es um mehr ging als nur um Sport. Das Stadion war, eng mit dem Stadtteil Leutzsch verbunden, immer Teil, manchmal auch ein Gegensatz, der gesellschaftlichen Zustände.
Prägten den Sportpark in den 1920ern und zu Beginn der 1930er die Arbeitersportler und deren Ansinnen auf gesellschaftliche Veränderungen das Gelände, mussten deren Vereine mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 weichen. Sie wurden aufgelöst, Inventar beschlagnahmt, Mitglieder verhaftet. Mit dem SV Turn und Rasensport (kurz „TuRa“) kam 1935 ein Verein in den Sportpark, der zwar ins NS-System eingegliedert war, doch dessen Mannschaft aus ehemaligen Arbeitersportlern bestand. Sowohl Teile des Vereins auch als der Spieler versuchten sich in niedrigschwelligen Widerstandshandlungen, während die Gestapo die Spiele mit besonderem Blick beobachtete, da sich auf den Rängen viele Sozialdemokraten fanden und es öfter auch zu politischen Unmutsbekundungen kam. Auch kommunistische Widerstandskämpfer trafen sich im Schutz der Masse.
In der DDR erhielt das nun Georg-Schwarz-Sportpark genannte Stadion mit der BSG Chemie Leipzig seinen Ruf als Ort der besonderen Atmosphäre zwischen brodelnder und begeisternder Stimmung auf der einen und Grenzüberschreitungen und Ausschreitungen auf der anderen Seite. War der Gewinn der DDR-Meisterschaft 1951 noch verbunden mit dem Arbeitersport, entstand spätestens mit der Meisterschaft von 1964 auf den Rängen eine Aura des Vereins der Opposition. Politische Eingriffe in den Sport waren in Leutzsch an der Tagesordnung und vor allem die „einfachen Arbeiter“ aus dem Leipziger Westen verehrten die BSG Chemie Leipzig als Verein des Volkes. Oppositionelle Haltungen manifestierten sich gerade in den 1980ern aber immer wieder auch in rassistischen, antisemitischen und nationalistischen Sprüchen und Rufen. Mit dem Ende der DDR wurde das Stadion in Alfred-Kunze-Sportpark, nach dem Meistertrainer von 1964, umbenannt. Mit dem Niedergang der Industrie des Leipziger Westens, begann für den Verein allerdings, nun FC Sachsen Leipzig, eine lange Zeit des Auf- und Abs. Stellvertretend für viele Einzelschicksale schwankte der Verein in der Transformation, zwischen Hoffnung, Konsolidierung und Zerfall bis er 2011 nach zwei Insolvenzen den Spielbetrieb einstellen musste. Das Stadion blieb in den 1990ern oft leer, die Zuschauerzahlen waren nicht mehr zu vergleichen mit denen der 1970er oder zu Beginn der 1980er. Auch Rassismus blieb ein Begleiter der Spiele. Das änderte sich erst mit der Etablierung der Ultraskultur zu Beginn der 2000er Jahre. Auf den Rängen wurde es wieder lauter und bunter. Neue gesellschaftliche Diskurse hielten Einzug. Die Ultras waren auch eine der Triebfedern für den Neuanfang der BSG Chemie Leipzig (2008) als basisdemokratischer Verein mit dem Anspruch klarer, antirassistischer Positionierung und gesellschaftlichen Engagements. Nach der Rückkehr der BSG Chemie Leipzig in den AKS 2011 nahm auch der Verein wieder an Fahrt auf. Die Zuschauerzahlen steigen, im Stadion werden Umbauten angestrebt und sportlich beginnt man sich zu etablieren. Dabei ähnelt sich die Entwicklung der BSG und des Stadtteil Leutzsch, und so verläuft die eingangs erwähnter Aufwertung des Stadtteils parallel zum Aufschwung des Vereins.
Fotos:
1 und 2 – Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
3, 6 bis 8, 11 – Westend Presseagentur
4 und 5 – Sportmuseum Leipzig
9 – Christoph Grandke
10 – Falk Brunner
12 – Diablos Leutzsch
13 – Dominik Dresel
14 – Kristina Černiauskaiė
WEITERFÜHRENDE LITERATUR, MITARBEIT, DANKSAGUNG
Die im Stadtteilrundgang aufgezeigten historischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge sind Teil der Forschungen des Projektes „AKS 100 – 100 Jahre Alfred-Kunze-Sportpark“ und werden in ausführlicher Form bald als Buchform erhältlich sein.
Weiterführend empfiehlt sich unter anderem folgende Literatur:
Leipzig-Leutzsch
- Kirst, Monika, Leutzsch: erlebt, erkundet, zugehört. Bd.1. Böhlitzer Hefte, Werbeagentur Kolb, Leipzig, 2016.
- Kirst, Monika, Leutzsch: erlebt, erkundet, zugehört. Bd.2. Böhlitzer Hefte, Werbeagentur Kolb, Leipzig, 2017.
Leutzscher Kämpfe 1919
- Werner Bramke, Silvio Reisinger. Leipzig in der Revolution von 1918/1919, Leipzig, 2009.
- Die rote Fahne über Leipzig. Ein Beitrag zur Geschichte der November-Revolution 1918 in Leipzig, Leipzig, 1958.
Kapp-Putsch 1920
- Bernd Langer, Leipzig, März 1920. Kampf gegen den Kapp-Putsch, Leipzig, 2020.
- Horst Riedel, Stadtlexikon Leipzig von A bis Z, Leipzig, 2005.
Leipziger Meuten
- Sascha Lange, Die Leipziger Meuten. Jugendopposition im Nationalsozialismus, Leipzig, 2012.
- Sascha Lange, Meuten, Swings & Edelweisspiraten. Jugenkultur und Opposition im Nationalsozialismus, Mainz, 2015.
- Jürgen Tubbesing, Nationalkommitee „Freies deutschland“- Antifaschistischer Block – Einheitspartei. Aspekte der Geschichte der antifaschistischen Bewegung in Leipzig, Beucha, 1996.
- Wolfgang Benz, Walter H. Pehle, Lexikon des Deutschen Widerstandes, Frankfurt am Main, 1994.
Zwangsarbeit in Leipzig:
www.zwangsarbeit-in-leipzig.de
Kriegsende in Leipzig:
- Möller, Jürgen, Die Letzte Schlacht – Leipzig 1945, Rockstuhl, Bad Langensalza, 2014.
Leipziger Jugend- und Subkultur in den 1980er und 1990er Jahren:
- Mareth, Connie/Schneider, Ray, Haare auf Krawall: Jugendsubkultur in Leipzig 1980 Bis 1991. Stark erweitert und überarbeitete Edition, Backroad diaries, Fuchshain, 2020.
BSG Chemie Leipzig:
- Fuge, Jens, Steigt ein Fahnenwald empor, Backroad diaries, Fuchshain, 2016.
- Fuge, Jens, Kennst du den Platz, wo die Sonne stets lacht, Backroad diaries, Fuchshain, 2017.
- Fuge, Jens, Du bist der Schrecken aller Klassen, Backroad diaries, Fuchshain, 2018.
- Mennicke, Alexander, BSG Chemie Leipzig. Fußballfibel, Culturcon Medien, Berlin, 2016.
Redaktionelle Arbeit: Alexander Mennicke, Steffen Butzkus, Dr. Markus Cottin, Friedemann Meißner, Ray Schneider, Dr. Yuval Rubovitch, Dr. Martin Clemens Winter
Für die Zuarbeit und Unterstützung bedanken wir uns beim Stadtgeschichtlichen Museum der Stadt Leipzig, dem Sportmuseum, Dr. Monika Kirst, Angelika Kriehmig, Jürgen Möller, Falk Brunner, Peter Hartmann und Martin Schramme (www.partifakte.de).
AKS100 – 100 Jahre Alfred-Kunze-Sportpark
Das Projekt AKS100 wird gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, durch die DFB-Kulturstiftung, das Kulturamt der Stadt Leipzig und durch die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.
ZUSATZINFORMATIONEN
Meute Reeperbahn (1933 bis 1940)
Die belebte Straße war das Revier der Meute Reeperbahn. Die sogenannten Leipziger Meuten waren oppositionelle Jugendgruppen im Dritten Reich. Die meisten ihrer Mitglieder stammten aus den 1933 verbotenen Jugendorganisationen der SPD und KPD. Die Jugendlichen traten in ablehnender Haltung zum NS-System auf und versuchten, sich dem totalitären Zugriff der NSDAP zu entziehen. Sie traten nicht den NS-Organisationen bei und versuchten, ihre Freizeit selbstbestimmt zu organisieren. Mit eigenem Dresscode wie karierten Hemden und Blusen, kurzen Lederhosen und dunklen Röcken grenzten sie sich optisch ab. Dabei kam es nicht selten zu Auseinandersetzungen mit Anhängern der Hitlerjugend. Anfang 1938 gingen diese so weit, dass sich HJ-Angehörige nicht mehr in die von den Meuten dominierten Stadtteile wagten. Dazu gehörten auch Leutzsch und Lindenau und besonders die heutige Georg-Schwarz-Straße.
Die Meute Reeperbahn war ein loser Zusammenschluss von fast 100 Jugendlichen. Die verteilten Handzettel mit NS ablehnenden Parolen und prügelte sich nicht selten mit Angehörigen der HJ. Diese Auseinandersetzungen führten dazu, dass sich 1939 die Gestapo mit dem Phänomen der Leipziger Meuten zu beschäftigen begann. Anfangs versuchte man mit abschreckenden Schauprozessen die Situation zu lösen. Als dies jedoch erfolglos blieb, ging man dazu über, so viele Angehörige der Meuten habhaft zu werden wie möglich. Ein Großteil der Jugendlichen wurde verhaftet und in sogenannte „Umerziehungslager“ gebracht. Andere wurden direkt in die Wehrmacht eingezogen. Zu Beginn des Jahres 1940 war die Meute Reeperbahn kaum mehr existent. Auch wenn es der Gestapo nicht gelang, diese vollständig aufzulösen, so konnten deren Mitglieder nicht mehr in der Form aktiv sein wie zuvor.
Kapp-Lüttwitz-Putsch und Folgen in Leipzig-Leutzsch (1920)
Schwer bewaffnet zieht die Marinebrigade „Ehrhardt“ am 13. März 1920 in Berlin ein. An ihrer Spitze stehen General Walther von Lüttwitz und Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp, die mit einem Staatsstreich, die im Versailler Vertrag festgelegte Truppenreduzierung auf 100 000 Mann verhindern, die demokratisch legitimierte Regierung verhaften und die Errungenschaften der Novemberrevolution rückgängig machen wollen.
Dieser Umsturzversuch trifft auf sofortigen Widerstand. Überall in der jungen Republik gründen sich Aktionskomitees und Arbeiterausschüsse, die sich den Putschisten entgegenstellen. So auch in Leipzig, bereits am Vormittag das 13. März gründet sich ein Aktionsausschuss im Volkshaus im Süden der Stadt, bestehend aus SPD, USPD und Gewerkschaften. Es werden Großdemonstrationen und Kundgebungen geplant. Im Laufe des Nachmittags sprechen sich alle Parteien in Leipzig mit Ausnahme der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) gegen den Putsch aus. Das Militär und die Freiwilligenverbände reagieren jedoch zurückhaltend und abwartend. Als es bei mehreren Großdemonstrationen am 14. März zu Schüssen von Angehörigen des Leipziger Freiwilligenregiments auf Demonstranten kommt, eskaliert die Situation. Es bilden sich Kampfgruppen in der gesamten Stadt, die das Zentrum abriegeln und die Außenbezirke sichern. So auch im Leipziger Westen. Während die zentrale Anlaufstelle in Kleinzschocher liegt, entwickelt sich in Leipzig-Leutzsch die Arbeiterkneipe „Der Schwarze Jäger“ zum zentralen Sammelpunkt. Hier wird eine Gefechtsstelle sowie eine Waffenmeisterei und Sanitätsstelle eingerichtet. Auch wird die Verpflegung der Posten von hier aus koordiniert. In Leutzsch melden sich über 400 Freiwillige, um den Stadtteil gegen Putschisten und Reichswehr zu sichern. Ihre Bewaffnung stammt überwiegend aus den 1919 am S-Bahnhof Leutzsch erbeuteten Gewehren und einigen Beständen aus den Waffenfabriken aus dem thüringischen Suhl. Während es in der Innenstadt und dem Leipziger Osten zu teils heftigen Feuergefechten kam, blieb die Lage in Leutzsch ruhig. Bis auf ein paar Schusswechsel mit Freiwilligenverbänden kam es zu keinen größeren Auseinandersetzungen. Am 17. März bricht der Putsch deutschlandweit zusammen und die SPD beginnt mit den Verhandlungen. Während diese schnellstmöglich den Normalzustand wieder herstellen möchte, versuchen Angehörige der KPD und linke Arbeiter die Situation zu nutzen, um einen deutschlandweiten Aufstand zu initiieren. Es kommt erneut zu Gefechten zwischen Reichswehr und Arbeitern. Nun stehen die einstigen Putschisten auf der Seite der SPD-Regierung und schlagen die kommunistischen Aufstände nieder. So kommt es auch in Leipzig zu Feuergefechten, bei denen die Arbeiter der Reichswehr unterlegen sind. Anschließend wird das Volkshaus, welches ein zentraler Anlaufpunkt der Leipziger Sozialisten ist, niedergebrannt und es kommt im gesamten Stadtgebiet zu Verhaftungen. Am 21. März ist in Leipzig der Aufstand niedergeschlagen.
Zwangsarbeit in Leutzsch
Keine Rolle in der Aufarbeitung der Vereinsgeschichte der BSG Chemie Leipzig spielte bisher die Geschichte des Elguwa-Vorgängers. 1933 entstand aus dem Leipziger Betrieb Richard Flügel die Flügel & Polter GmbH, Gummiwarenfabrik in Leipzig. 1937 übernahm das NSDAP-Mitglied Fritz Ries das Unternehmen als Hauptgesellschafter und wandelte es zur Kommanditgesellschaft um. Ries machte die Firma mit Hilfe von „Arisierungen“ jüdischer Betriebe in Deutschland und im besetzten Polen während des 2. Weltkriegs zum Großkonzern. Hergestellt wurden nun unter anderem Schwimmwesten und Schlauchboote für die deutsche Marine. Im Zweigwerk „Oberschlesische Gummiwerke“ in Trzebinia mussten ab Juni 1941 hunderte Jüdinnen und Juden Zwangsarbeit leisten. In Leipzig hatte Flügel & Polter mehrere Lager für über etwa 120 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Polen, Tschechien und der Sowjetunion. Nach Kriegsende wurde die Firma enteignet und ging 1947 in die Elguwa über. Dieser Teil der Geschichte steht stellvertretend für die Leutzscher Industrie. Allein in diesem Stadtteil nutzten 34 Fabriken und Betriebe Zwangsarbeiter und ihre Arbeitskraft.
Erläuterungen zur Zwangsarbeit (1933 bis 1945)
Die ersten, die nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten zu Zwangsarbeit verurteilt wurden, waren politische Gefangene. Zu diesem frühen Zeitpunkt der NS-Herrschaft hatte die Zwangsarbeit noch keine wirtschaftliche Funktion, sondern diente lediglich der „Disziplinierung“ und „Erziehung“. In den kommenden Jahren wurden immer mehr Menschen, die nicht in die „Volksgemeinschaft“ passten, zur Zwangsarbeit herangezogen. Es folgten Jüdinnen und Juden und Sinti und Roma. Mit Beginn des Krieges wuchs die wirtschaftliche Bedeutung der Zwangsarbeit. Neben Kriegsgefangenen arbeiteten Menschen aus ganz Europa in der Deutschen Rüstungsindustrie. Diese wurden in den besetzten Ländern angeworben oder willkürlich verhaftet und in das Deutsche Reich zur Arbeit deportiert. Ziel war es, die fehlenden Arbeitskräfte zu ersetzen, die durch die Verluste an der Front entstanden waren. Im Sommer 1940 waren bereits 300.000 polnische Männer und Frauen ins Deutsche Reich deportiert worden. 1944 war ein Drittel der im Deutschen Reich eingesetzten Arbeiter Zwangsarbeiter aus Europa – insgesamt 13 Millionen Menschen. Dabei unterschieden sich die Lebensverhältnisse der Zwangsarbeiter je nach Herkunft. Die schlechtesten Bedingungen hatten Jüdinnen und Juden sowie sowjetische Kriegsgefangene. Aufgrund der enormen Anzahl gehörten Zwangsarbeiter zum Kriegsalttag der deutschen Bevölkerung.