Foto: Christian Donner | BSG Chemie Leipzig
2017 wechselte Philipp Wendt von der TSG Neustrelitz nach Leipzig-Leutzsch. Und nun, nach sieben Jahren, schmerzt uns sein Abgang nicht nur sportlich, sondern vor allem auch menschlich sehr. Wendt ist ein Führungsspieler, der auf dem Platz fehlen wird, dessen Wunsch nach einer neuen Herausforderung wir aber natürlich akzeptieren. Philipp bleibt natürlich ein Teil der Chemie-Familie. Und er drückt Chemie auch weiter die Daumen.
Ungeplant erlebte er gegen den BFC schon sein letztes Spiel. Trotz Rotsperre wird er sein Team nach Luckenwalde begleiten und es unterstützen.
Wir haben ihm zum Abschied ein paar Fragen gestellt, die er uns mit einem lachenden und einem weinenden Auge beantwortete.
Wann und wie bist Du zum Verein gekommen und wie war für Dich der Einstieg? Wurdest Du gut integriert und hat Dich jemand besonders geprägt?
Damals lief das über meinen Berater, der mit Dietmar Demuth im Austausch war. Grundsätzlich wollten meine Freundin und ich sowieso wieder Richtung Heimat gehen und für mich war klar, dass in Leipzig eigentlich nur Chemie für mich in Frage käme.
Ich habe 2017 hier begonnen. Natürlich stieß ich zu Beginn gleich zu einem eingeschworenen Haufen, der gerade den Durchmarsch gemacht hatte und aufgestiegen war. Als „Dachs“ wurde ich aber sehr gut aufgenommen und daran hatte Stefan Karau einen maßgeblichen Anteil. Er war während seiner kompletten aktiven Zeit eine Bezugsperson für mich. Mein erstes Spiel mit Stefan war mein erstes Pflichtspiel gegen Lok. Und unser letztes gemeinsames Ligapflichtspiel war auch gegen Lok.
Wie bist Du selber in die Rolle eines Führungsspielers gewachsen? Abseits des Platzes wirkst Du auf den ersten Blick eher ruhig. Kann man es lernen, auf dem Platz den Ton anzugeben oder ist man zu so etwas veranlagt?
Am Anfang beobachte ich eher gerne, wie alle so ticken, damit ich zum Beispiel einschätzen kann, ob mein Humor bei anderen ankommt etc. Aber ich denke, dass alle in der Kabine und im Trainerteam bestätigen können, dass ich eher zu den „positiv gestörten“ in der Mannschaft zähle.
Führungsspieler ist man oder eben nicht. Ich war schon als junger Spieler nicht ruhig. Aber mit zunehmendem Alter haben die Leute und meine Mitspieler das auch von mir erwartet und ich von mir ehrlich gesagt auch. Ich bin ein Lautsprecher auf dem Platz. Und ich bin dann auch viel fixierter aufs Spiel. Als Stefan sein Amt niedergelegt hat und Belle Kapitän wurde, gab es natürlich auch einen Lautsprecher aus dem Tor heraus, aber er hat mich auch immer miteinbezogen und gebeten, diese Rolle auf dem Platz zu übernehmen. Ich denke, das habe ich auch ganz gut gemacht.
Wie hat Chemie Dich geprägt? Fußballerisch und auch darüber hinaus? Was hat Dich auch abseits des Platzes geprägt? Welche Schritte hast Du in den vergangenen Jahren gemacht?
Dieses WIR-Gefühl ist bei Chemie so stark vorhanden, das kannte ich in der Form gar nicht. Zum einen in der Mannschaft – die war eine richtige Einheit. Es ging um das große Ganze und nicht um persönliche Befindlichkeiten. Und zum anderen die Fans. Auch die haben mich natürlich sehr geprägt. Es ist nicht üblich, wie eng man hier im Austausch miteinander ist. Das ist auf jeden Fall hervorzuheben. Alle zusammen, es geht nur gemeinsam – das kannte ich in dem Ausmaß vorher einfach nicht. Natürlich kannte ich es auch nicht, vor solchen Kulissen zu spielen. Zu Hause wie auswärts. Das war komplett neu für mich. Als junger Spieler hat man da noch einmal einen anderen Druck, aber über die Jahre hat mich das schon sehr geprägt, ich wurde sicherer wurde und weiß dieses Miteinander bis jetzt wirklich zu schätzen.
Ich bin Chemie sehr dankbar, dass man sich so stark für mich eingesetzt hat. Dass man mich unterstützt hat, eine Ausbildung zu machen und Kontakte hergestellt hat. Die Jahre waren einfach die Zeit, in der ich erwachsen geworden bin. Die Kombination zwischen Arbeit und Fußball prägt einen natürlich auch.
Was waren für Dich die schönsten Erlebnisse? Woran denkst Du gerne zurück? Was war für Dich der größte Erfolg?
In den sieben Jahren gab es sehr viel Highlights und Erinnerungen, die ich mitnehme. Ich nenne drei Beispiele, die ich vielleicht hervorheben kann.
Als erstes steht für mich natürlich das DFB-Pokalspiel gegen Regensburg, das wir gewannen und die zweite Runde erreichten. Für mich persönlich war es noch einmal besonders toll, weil ich einen Treffer zum Sieg beitragen konnte. Das sind Emotionen, die man niemals vergisst. Das war das absolute Highlight meiner fußballerischen Laufbahn und ich werde noch heute darauf angesprochen.
Auch das Flutlichtspiel gegen 1860 München im Grünwalder Stadion ist so eine Erinnerung. Wahnsinn, was die Fans beider Fanlager damals geboten haben. Da war ich noch ein bisschen jünger und habe mich tatsächlich gefühlt wie ein Bundesligaspieler. Noch heute schaue ich mir gerne Videos von diesem Spiel an.
Und natürlich gehört auch das Spiel gegen die Eintracht in Frankfurt in diese Reihe. Volles Haus. Die Fans beider Vereine völlig positiv ausgerastet. Das werde ich nie vergessen. Ich muss ja nur an die Gegenspieler denken wie Bas Dost oder André Silva. Das war ein richtig cooler Moment und ein riesiges Highlight. Wo gibt es schon so eine Verbindung zwischen zwei Vereinen und Fanszenen? Das ist schon einmalig.
Was war der größte Erfolg in dieser Saison? Habt Ihr das erreicht, was Ihr Euch vorgenommen habt?
Hätte mir jemand vorab gesagt, dass wir den 8. Platz bzw. einen einstelligen Tabellenplatz holen in dieser Liga, hätte ich das vorher direkt unterschrieben. Das einzig bittere war das zeitige Aus im Pokal, das noch immer an uns nagt. Da hatten wir uns mehr vorgenommen. Aber ich glaube, das konnten wir mit dem Auswärtsderbysieg wieder etwas wett machen…
Dieser Auswärtssieg in Probstheida war für alle der erste. Natürlich ist da eine große Last von den Schultern gefallen – von uns allen. Einmal bringt das Spiel selbst schon eine gewisse Grundspannung mit sich. Und dann wusste ich schon, dass das mein vorerst letztes Leipziger Derby sein würde, dementsprechend waren Anspannung und Druck noch ein bisschen größer. Im Anschluss dann die pure Erleichterung. Ich glaube, das konnte man auch sehen, als wir mit den Fans gefeiert haben. Das Gefühl kann man kaum beschreiben. Eine coole Story wäre es natürlich gewesen, sowohl das erste als auch das letzte Spiel für Chemie gegen Lok zu bestreiten.
Du wechselst nach Jena. Wird es schwierig sein, zukünftig mit Chemie in derselben Liga zu spielen? Oder betrachtest Du das rein sportlich? Wirst Du Leipzig und Leutzsch vermissen? Und wem bleibst Du auf jeden Fall im Kontakt?
Es ist kein Geheimnis, dass Chemie für mich eine Herzensangelegenheit ist und ich auch weiterhin Fan bleibe. Ich freue mich eher auf die Begegnungen. Die Leute wiederzusehen und im AKS zu spielen. Aber wenn ich dann mit Jena auf dem Platz stehe, bin ich natürlich Sportler und möchte alles für meine Mannschaft geben. Da soll der bessere gewinnen.
Wir haben eine Gruppe mit allen „Alteingesessenen“ von Chemie und es gibt auch immer mal ein Treffen. Da besteht der Kontakt also schon. Es ist im Fußballerleben so, dass man sich über den Weg läuft und mal trifft. Wir sind natürlich auch alle nicht aus der Welt.
Wir ziehen nicht um, bleiben Leipzig erhalten. Natürlich werde ich Leutzsch vermissen und jeder, der mich kennt, weiß das auch. Zum einen werde ich ja aber mindestens einmal auf dem Platz stehen und wenn ich es einrichten kann, würde ich auf jeden Fall versuchen, mir Spiele auch live vor Ort als Fan anzuschauen. Aber natürlich werde ich, selbst wenn ich nicht vor Ort sein kann, den Weg von Chemie weiterhin verfolgen. Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Es war eine wirklich eine schöne Zeit hier und ich freue mich aber auch darauf, dass eine neue Herausforderung auf mich wartet.
Wie geht es für Dich weiter? Was sind Deine persönlichen Ziele im Sport und wie machst Du in Deinem anderen Beruf weiter?
Mir selbst war es wichtig, unter professionellen Bedingungen noch einmal das Maximale aus mir herauszuholen. Das war tatsächlich einer der Hauptgründe. Beruflich kann es einfach weitergehen. Das Vormittagstraining kommt mir allgemein zugute, da meine Primetime auf Arbeit die Feierabendzeit ist, weil ich dann als Personalberater die Kandidaten viel besser erreichen kann.
Nun sorgte die Rote Karte gegen BFC für Dein verfrühtes Saisonende. Wie sehr ärgert Dich das? Fährst Du trotzdem mit nach Luckenwalde? Wie wirst Du Dich vom Team verabschieden?
Natürlich war die Karte nicht geplant und ich hatte auch nicht damit gerechnet. Trotzdem werde ich natürlich nach Luckenwalde mitfahren und das Team unterstützen und hoffe natürlich auf viele Fans, die dabei sind. Es ist das letzte Saisonspiel für Chemie. Wenn es da viele Schlachtenbummler mit nach Luckenwalde zieht, freuen sich alle.
Für mich ist das eine neue Situation, ich habe bisher nur die Spieler gehen sehen und dieses Mal bin ich derjenige, der geht. Deswegen kann ich gerade nicht sagen, wie die Verabschiedung sein wird. Es gibt einen Saisonabschluss von Vereinsseite. Und fliegen wir mit dem Team nach Mallorca. Ich gehe davon aus, dass ich mich bei der Gelegenheit gut und angemessen bei den Jungs verabschieden kann. Und: Man ist ja auch nicht aus der Welt.
Welche Botschaft hast Du für Fans und Verein?
Ich wünsche dem Verein, dass der Weg zur schrittweisen Professionalisierung vom Stadion bis zu den Trainingsplätzen und allem, was damit einhergeht, so verläuft, wie man sich das vorstellt.
Ich möchte an dieser Stelle den Fans danken für ihre Unterstützung. In guten wie in schlechten Zeiten: Sie waren immer für uns da. Und sie waren auch immer für mich da. Dieser Dank darf hier auf keinen Fall zu kurz kommen.
Vielen Dank für die vergangenen sieben Jahre, Philipp!