Foto: BSG Chemie Leipzig
Im Fünfeck Nr. 262 im Spiel gegen den BFC Dynamo am letzten Sonntag haben wir ein gekürztes Interview mit Aufsichtsratsmitglied Frank Engel abgedruckt. Hier könnt ihr das vollständige Interview nachlesen.
„Was heute gut ist, reicht morgen schon nicht mehr aus“ – Frank Engel im Interview
Seit nunmehr zweieinhalb Jahren ist Frank Engel wieder tätig in Leipzig-Leutzsch. Das Chemie-Urgestein ist nach langer Zeit als Trainer mittlerweile Teil des Aufsichtsrat bei unserer BSG. Im Interview mit uns spricht er über die Entwicklung des Nachwuchs bei Chemie, schaut zurück auf die gespielte Saison und wagt mit uns einen Blick in die Zukunft.
Hallo Frank und herzlich Willkommen beim Fünfeck! Wie geht es dir?
Alles gut oder altersgerecht. Mein Motto: „man kann nicht ewig zwanzig sein, aber sollte immer versuchen in seiner Altersklasse zur Spitze zu gehören (lacht)“.
Zu Beginn dieser Saison stand das Eröffnungsspiel mit Wacker Innsbruck an. Im zugehörigen Programmheft erzählte Florian Brügmann über seine Kurzzeitkarriere bei der U18 mit dir als Trainer. Habt ihr mittlerweile gemeinsam einen Kaffee getrunken?
Ja, Florian war bei U18-Lehrgängen dabei. Er ist auch ein spielstarker Kicker und in Leutzsch gut aufgehoben. Den Kaffee trinken wir noch.
Du bist seit zweieinhalb Jahren im Aufsichtsrat bei Chemie. Was konntest du bisher bewegen und wo konntest du deine enorme Erfahrung einbringen?
Ich habe mich in erster Linie ein wenig um den Nachwuchsbereich gekümmert und mehrere Trainerfortbildungen gemacht. Vor den ehrenamtlichen Übungsleitern muss man den Hut ziehen. Es ist ein großer Aufwand, der dort betrieben wird und wir müssen dafür die Bedingungen unbedingt weiter verbessern. Mit Miro Jagatic tausche ich mich natürlich gelegentlich auch aus.
War es von Anfang an dein Wunsch, Teil des Aufsichtsrats zu sein, oder wolltest du bei der BSG auch gern noch andere Funktionen erfüllen?
Ich bin gebeten worden, im Aufsichtsrat mitzuwirken und da habe ich gern zugesagt, schließlich ist Chemie mein Heimatverein (Nachwuchsspieler, Nachwuchstrainer und wenn man so will der letzte Erstliga-Trainer) und gebe meine Erfahrungen gern weiter. Ich bin nicht mehr im Tagesgeschäft – 48 Jahre reichen – , fühle mich mehr in beratender Rolle.
Entspricht die Arbeit im Aufsichtsrat von Chemie deinen Erwartungen und wie läuft diese Arbeit ab? Bist du ausschließlich für den Nachwuchs zuständig?
Der Aufsichtsrat trifft sich in regelmäßigen Abständen „zur Einschätzung der Lage“, auch in einer gewissen Kontrollfunktion wie es in der Satzung festgeschrieben ist. Ich bin natürlich kein Wirtschafts- oder Finanzfachmann, sehe deshalb den sportlichen Bereich als primär an.
Die vereinsinternen Kommunikation insbesondere im Hinblick auf Anfragen von Mitgliedern und Fans wurde im letzten Jahr vom Aufsichtsrat kritisiert. Sind dahingehend schon Verbesserungen zu spüren?
Die vereinsinterne Zusammenarbeit muss funktionieren, da sind stets Verbesserungen möglich und unsere Zeit ist ausgesprochen schnelllebig. Anfragen und positive Hinweise von Mitgliedern und Fans gilt es generell ernst zu nehmen, aber sie dürfen auch nicht überziehen. Die Prozessverantwortung muss eindeutig bei den Vereinsverantwortlichen bleiben, letztendlich sind sie die Insider und Macher.
Wie zufrieden bist du seit deinem Amtsantritt mit der Entwicklung im Nachwuchs der BSG und was sind die nächsten Schritte?
Im Nachwuchsbereich wird fleißig gearbeitet, aber wir sind noch lange nicht da, wo wir hinwollen. Der neue Kunstrasenplatz hilft uns schon sehr, aber generell ist die Infrastruktur weiter zu verbessern. Auch die weitere Qualifikation der Trainer und Übungsleiter ist ein permanentes Thema. Der Job heißt lebenslanges Lernen. Was heute gut ist, reicht morgen schon nicht mehr.
Wann können wir Jahr für Jahr auf Talente aus dem eigenen Nachwuchs hoffen, die uns in unserer Ersten weiterhelfen?
Das ist nicht so einfach. Der Übergang vom Nachwuchs- zum Männerspieler ist der schwierigste Schritt. Es werden nur wenige Spieler in die höheren Ligen, den leistungsorientierten Fußball ab Regionalliga aufwärts, schaffen. Wenn ein bis zwei Jungs jährlich oben anklopfen, wäre dies schon gut. Aber wir haben als Verein auch eine sehr wichtige soziale Funktion. Alle unsere Spieler und Spielerinnen müssen wir mit den zahlreichen positiven Eigenschaften des Sports und des Fußballs auf das Leben vorbereiten, ihre Gesamtpersönlichkeit stärken. Das ist gerade heute in der modernen, digitalen Welt mit großer Bewegungsarmut enorm wichtig.
Du bist im Bund Deutscher Fußball-Lehrer (BDFL) Vorsitzender der Verbandsgruppe Nordost. Was sind die Aufgaben des BDFL und speziell die im Nordosten?
Der Bund Deutscher Fußball-Lehrer e.V. ist ein Berufsverband der Trainer und Trainerinnen mit den höchsten Lizenzstufen UEFA-Pro-Lizenz und UEFA-A-Lizenz. Hauptaufgabe des BDFL ist die Trainer-Fortbildung, gleichzeitig aber auch die Interessenvertretung seiner über 5300 Mitglieder. Der BDFL steht für Kompetenz im Fußball. Ich bin seit 1991 BDFL-Mitglied und seit 1993 in der Leitung der Verbandsgruppe Nordost. Seit 2007 bin ich Vorsitzender der VG Nordost und Mitglied des Bundesvorstands. Diese ehrenamtliche Tätigkeit macht mir sehr viel Spaß, auch wenn es recht zeitaufwendig ist.
Durch deine jahrelange Tätigkeit als Nachwuchstrainer beim DFB hast du landesweite Kontakte im Fußball. Konntest du diese schon gewinnbringend für Chemie nutzen? Wie nimmt eigentlich die Fußballgemeinde in Deutschland unseren Verein wahr?
Chemie wird schon wahrgenommen und ist als Traditionsverein bekannt. Mit den Kontakten ist es so eine Sache, natürlich öffnet das schon gelegentlich eine Tür und kann hilfreich sein.
Wie siehst du die Entwicklung der Regionalliga Nordost im Vergleich mit den anderen vierten Ligen?
Ich denke die RL Nordost muss sich nicht verstecken. Es gibt viele Traditionsduelle ehemaliger Erstligisten, die zahlreiche Zuschauer anziehen.
Welches erstes Fazit ziehst du zur langsam endenden Saison 2023/24 bei Chemie?
Die Mannschaft hat zunächst mal die Tugenden gezeigt, die man im AKS sehen will, Einsatzfreude und Teamgeist. Ein Platz im gesicherten Mittelfeld der Liga entspricht den Erwartungen und unseren Bedingungen und Voraussetzungen. Infrastrukturell ist noch vieles zu bewerkstelligen und unser Team trainiert unter reinen Amateurbedingungen, was gerade auch bei Auswärtsspielen in der Woche problematisch ist. Das führt auch zu einer Diskrepanz zwischen Heim- und Auswärtsspielen. Unbefriedigend ist für mich die Anzahl der erzielten Tore. Eine negative Tordifferenz unterstreicht das. Wir haben zu viele Chancen liegen lassen, Abschlussschwächen gezeigt. Sicher machte sich hier auch der Ausfall von Alex Bury bemerkbar. Defensiv hat das Team, auch an der Anzahl der Gegentore im Ligavergleich zu sehen, in der Regel recht stabil gestanden.
Wen hättest du als Spieler der Saison unserer BSG gewählt?
Dennis Mast.
In der Rückrunde kamen mit Elias Oke, Vin Kastull oder auch Maximilian Jagatic viele junge Spieler zum Einsatz. Wie siehst du deren Entwicklung?
Die Jungs haben Ansätze gezeigt und brauchen sicher noch etwas Zeit und vor allem Einsatzzeiten, um weiter zu lernen und sich zu stabilisieren. Sie müssen sich permanent im Training zeigen, Druck auf die Stammspieler ausüben und für Spieleinsätze anbieten.
Tauschst du dich auch mit Miroslav Jagatic aus und wie bewertest du Miro’s Entwicklung, der sich die UEFA Pro Lizenz erarbeitet hat?
Ich kenne Miro schon viele Jahre und habe seine Entwicklung stets verfolgt. Er hat als junger Spieler (1994) in einem Benefiz-Spiel schon mal unter mir gespielt. Er macht bei uns seit Jahren eine gute Arbeit, er passt zu Chemie. Wir tauschen uns natürlich auch aus. Ich freue mich, dass Miro mit der UEFA Pro Lizenz die höchste Lizenzstufe erworben hat.
Was ist realistisch für unsere BSG Chemie in den nächsten fünf Jahren möglich?
Es gibt noch viel Arbeit in Leutzsch. Die Infrastruktur muss weiter konsequent verbessert werden; Flutlicht, Kunstrasen können nur der Anfang gewesen sein. Funktionsgebäude, Plätze, Trainingsmöglichkeiten und natürlich die Erweiterung der Zuschauerkapazität sehe ich als wesentliche Aufgaben in den nächsten Jahren. Wir müssen uns in der Regionalliga weiter fest etablieren und versuchen uns im oberen Drittel festzusetzen. Auch unsere Nachwuchsarbeit müssen wir weiter qualifizieren. Also einfach realistisch bleiben, mit beiden Beinen auf dem Boden.
Aktuell arbeiten viele fleißige Hände an einem überarbeiteten Leitbild für unseren Verein. Gibt es aus deiner Sicht einen Punkt, welcher unbedingt im Leitbild stehen sollte?
Wer nach Leutzsch kommt muss sich hier wohlfühlen – Wir sind eine grün-weiße Familie
Wahrung von Tradition und Pflege von Innovation, Respekt, Fairplay, Begeisterung und Unabhängigkeit.
Zum (Heimspiel-)Abschluss der Saison empfangen wir den BFC. Diese Saison war Dynamo immer ein Aufstiegskandidat, schwächelte aber in den letzten Wochen. Was muss die Mannschaft heute zeigen, um gegen die Berliner zu gewinnen?
Wir müssen mutig nach vorn spielen, das Spiel in die Tiefe suchen und Chancen kreieren. Natürlich auf der Basis eines robusten Zweikampfverhaltens und eines guten Umschaltspiels. Wir sind zuhause eine Macht, der AKS hat ein besonderes Flair.
In deinen jungen Jahren war das Duell der BSG Chemie gegen den BFC Dynamo eher ein Kampf Volksverein gegen Staatsmacht. Ist das Spiel für dich immer noch etwas Besonderes?
Das habe ich nie so extrem gesehen, für mich war stets der Sport vorrangig. Ich habe als Trainer für die DDR über 200 Länderspiele bestritten, da habe ich mit Spielern aus allen Clubs gleich gern gearbeitet. Fairplay stand für mich immer an erster Stelle. Natürlich gab es früher unpopuläre politische Entscheidungen, dafür regiert heute das Geld.
Du bist mit 73 Jahren mittlerweile auch in einem „fortgeschrittenen“ Alter. Wie lange planst du noch im Aufsichtsrat aktiv zu sein? Wieviel Kraft kosten deine Ämter oder halten sie dich jung?
Meine Ämter kosten schon Zeit und sind aufwendig. Aber sie halten mich auch jung, weil man viel mit Jüngeren zusammen ist. Schauen wir mal.
Gibt es für dich Ziele, die du noch unbedingt erreichen möchtest?
Weitestgehend gesund bleiben, so dass man auch körperlich aktiv sein und eine gute Kommunikation pflegen kann.
Wie läuft dein Leben abseits des Fußballs? Wo kannst du abschalten?
Eigentlich sehr vielseitig. Selbst viel Sport treiben, Gartenarbeit (unter Anleitung meiner Frau), Freunde treffen und ein gutes Glas Wein trinken, kulturelle Aktivitäten und gelegentlich ein Buch lesen.
Was möchtest du traditionell zum Ende den Fans noch mitgeben?
Bleibt den Chemikern treu, wir haben schon eine besondere Atmosphäre in Leutzsch. Aber bitte Fairplay wahren und auch die Leistung des Gegners anerkennen, es geht immer nur um Sport!
Vielen Dank, Frank und weiterhin Alles Gute!