Foto: Dennis Weißflog
Einig wurden sie sich letztlich nicht, die fünf Diskutanten auf der Bühne bei der Auftaktveranstaltung des Leutzscher Jubiläumsjahres. Zu sehr differierten die Ansichten über Herkunft, Zugehörigkeit und Bewertung der Geschichte unseres Vereines. Doch am Ende stand ein Satz, der Versöhnlichkeit ausstrahlte: „Es sollte keine Dogmen geben, keinen Ausschluss. Jede Traditionslinie hat ihre Bewandtnis und Berechtigung, man kann sich seine Geschichte nicht schönreden oder sie so interpretieren, wie sie einem persönlich gerade gefällt“, fasste Vereinschronist und Autor Jens Fuge zusammen, was da zuvor in anderthalb Stunden vor fast 80 BesucherInnen aufgeworfen, diskutiert und dargelegt wurde.
Zum Start ins „Jahr der Leutzscher Legenden – 125 Jahre Fußballgeschichte“ hatte das vielleicht schwerste Thema der Veranstaltungsreihe zur Historie unseres Vereines direkt zu Beginn stattgefunden. Die Wurzeln reichen weit zurück, nicht alle Ursprünge sind unumstritten, können sie auch nicht sein. In fünf Gesellschaftssystemen gingen Menschen ihrer Leidenschaft nach, opferten Zeit, Geld und Nerven, um durchzusetzen, was ihnen wichtig war.
In diesem Sinne setzten sich die TeilnehmerInnen auf dem Podium unter Moderation von Stadionsprecher Johannes Salzmann auseinander – nicht romantisch verklärend, sondern kritisch und hinterfragend. So warf Ray Schneider, Autor des Standardwerkes über Jugendsubkultur in Leipzig vor der Wende („Haare auf Krawall“) zum Thema Tura ein, dass deren Gründer Carl Schwarz eben nicht nur ein gutes Werk tat, indem er Arbeitersportlern die Möglichkeit gab, nach dem Verbot ihrer vereine bei der Tura Fußball zu spielen. Schwarz profitierte eben auch von den Nazis und scheint ihnen zugewandt gewesen zu sein. Journalistin und Kulturwissenschaftlerin Britt Schlehahn verneinte die Tura als Wurzel unseres Vereines und sah diese vielmehr im Arbeitersportverein Jahn, der ab 1920 auf dem Gelände des heutigen Alfred-Kunze-Sportparks aktiv war. „Warum muss man sich an einen solchen bürgerlichen Verein dranhängen?“, fragte sie. So ähnlich sah es auch Autor und Kulturwissenschaftler Alexander Mennicke, der allerdings eine Brücke zur Tura schlug, indem er die örtlichen Gegebenheiten und das Lokale betonte, das Vereine auch ausmacht. Auch für ihn steht der Sportpark mehr im Mittelpunkt als die Fusionen bis zurück ins Jahr 1899. Für den ehemaligen Präsidenten des Leipziger Fußballverbandes, Rainer Hertle, stand ohnehin fest: „Der Fußball, das sind doch vor allem die Menschen. Und das sind wir alle. Egal, wo sie die Traditionslinie herholen: Hauptsache, sie gefällt ihnen…“ Genau so unvollkommen wie der Mensch, sei also auch die genaue Traditionslinie der Vorgänger der BSG Chemie zu sehen. Ein weises Schlusswort zu einer überaus komplizierten Historie, die man – mit all ihren Facetten und Widersprüchen – voller Ehrfurcht, aber auch mit allen Fragezeichen betrachten kann.
Großes Interesse fand auch die neue Museumswand, in der ausgewählte Stücke aus dem Fundus unseres Chemie-Museums passend zum Thema ausgestellt und gezeigt wurden, u.a. das älteste existierende Trikot (von der Tura, ca 1940) sowie der aus dem Jahr 1907 stammende Mitgliedsausweis des Bruders des Gründers der Britannia, Max Krauß.
Wer sich die gesamte Diskussion anschauen möchte, hat hier die Gelegenheit dazu: https://youtu.be/mcDzYI4J3Vc