Foto: BSG Chemie Leipzig / Jens Fuge
Der Fußballplatz als Ort von Diskriminierung – wie ist das zu ändern? Warum ist das überhaupt so, kann man überhaupt etwas dagegen tun und wer steht besonders in der Pflicht? Das waren Fragen, die gestern Abend bei einer gemeinsamen Veranstaltung anlässlich des Holocaustgedenktages im Alfred-Kunze-Sportpark unter dem Namen „Fußball als Plattform der Erinnerung“, organisiert von der BSG Chemie und dem Sozialpartner Familienverein Tüpfelhausen, gestellt wurden.
Auf dem Podium saßen illustre Gäste wie Dennis Schmidt vom IVF (Initiative für mehr gesellschaftliche Verantwortung im Breitensport-Fußball), Amin Behadj, Teammitglied der U23 der BSG und Internetstar mit Millionen von Followern, Gregor Schönecker, ehemaliger Coach der BSG und Mitarbeiter des Fanprojektes, Sebastian Rudolph von Tüpfelhausen sowie Moderator Johannes Salzmann. Zugeschaltet aus Israel war Dr. Yuval Rubovitch, Verfasser des Buches über Bar Kochba Leipzig und exzellenter Kenner der jüdischen Geschichte in Leipzig.
Zuviel Symbolpolitik, keine echten Antworten – so kann das Fazit der Diskussion zusammengefasst werden. Es passiere jeden Tag und werde kaum sanktioniert. Vorschläge aus der Runde kompetenter Gesprächspartner: Auch die Funktionäre in den Verbänden sollten geschult werden, weil von dort viel zu wenig komme, um gegenzusteuern. Das Thema müsse an die Schulen sowie in die Trainerausbildung.
Diskriminierung zur Genüge kennt Amin Belhadj. Der 22-Jährige mit algerischen Wurzeln spielte bis vor kurzem in der U23 der BSG Chemie und wiegt 215 Kilogramm. Aufgrund einer Stoffwechselerkrankung nimmt er immer weiter zu. Schlimm, was er zu erzählen hat: „Unvorstellbar, was ich mir aufgrund meiner Statur anhören musste, welche Beleidigungen und Schimpfwörter“, erzählt er. Und das seit seinem 6. Lebensjahr. Das Schlimmste: „Nicht ein einziges Mal in all den Jahren hat auch nur ein einziger Schiedsrichter dem Einhalt geboten.“
Ähnliche Erfahrungen machen Sportler in Vereinen mit jüdischen Wurzeln wie Maccabi Berlin oder Frankfurt. Dr. Yuval Rubovitch, schilderte, welch üblen Anwürfen die Kicker aus jenen Vereinen ausgesetzt sind: „Da gibt es viele Fälle antisemitischer Beleidigungen von Spielern, Eltern und sogar Trainern. Wenn das von denen schon kommt, ist es für die Fans dann auch in Ordnung, sich so zu äußern“.
„Sportgerichtsurteile sind oft sehr frustrierend, wenn, wie in manchen Fällen bereits geschehen, das Ganze als ‚fußballtypisches Verhalten‘ klassifiziert wird“, meint Dennis Schmidt vom IVF (Initiative für mehr gesellschaftliche Verantwortung im Breitensport-Fußball). Der Verein ist seit 10 Jahren in der Antidiskriminierungsarbeit im Fußball aktiv. Mit dem Projekt »Ein Verein für Alle« setzt er explizit auf eine langfristige Zusammenarbeit mit sächsischen Fußballvereinen. Im Mittelpunkt des Projekts steht die Sensibilisierung der Vereinsmitglieder gegenüber diskriminierendem Verhalten und Vorurteilen im Fußball sowie ein Austausch über Gegenstrategien.
Die Kritik an den Verbänden untermauert Schmidt: „Der Sächsische Fußballverband macht nur so viel, wie er gerade muss. Selbstinitiativ ist man dort eher nicht“. Und er berichtet davon, wie der Kampf um die Aufnahme eines Workshops zur Antidiskriminierung in die Trainerausbildung trotz langen Kampfes am Ende doch scheiterte.
Schönecker regte an, man müsse bereits in den Schulen ansetzen, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen. Und er ging noch weiter: „Manchmal habe ich den Eindruck, dass auch eine Schulung in den Verbänden nötig ist. Da ist oft viel mehr Wissen notwendig“.
Das interkulturelle Begegnungsfest, das Tüpfelhausen seit acht Jahren organisiert, sei ein gewichtiger Beitrag, so Sebastian Rudolph. Jugendliche aus verschiedenen Ländern treffen sich alljährlich zum gemeinsamen Kennenlernen und Fußballspielen bei einer der größten Jugendbegegnungen Deutschlands.