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Im Gedenken an Dieter Scherbarth

By 10. Oktober 2022No Comments

Foto: Westend-Presseagentur

Dieter Scherbarth ist tot. Der ehemalige Stürmer unserer Meistermannschaft wurde 82 Jahre alt. Die BSG Chemie trauert um einen ihrer größten Spieler, eine Legende, ein Vorbild.

Die Älteren unter uns kennen ihn noch vom Spielfeld, die Jüngeren werden sich vor allem an das Hallenturnier vor zehn Jahren in Wittenberg erinnern. Da schritt Dieter Scherbarth kurzerhand die Reihen der jubelnden Chemie-Fans ab und hatte gefühlte tausend Handshakes zu absolvieren. Minutenlang wurde diese Legende der alten und neuen BSG Chemie gefeiert – ein Zeichen der besonderen Verehrung, die „Schere“ in unserem Verein quer durch alle Altersschichten genießt.

Mit ihm kamen zögerlich auch andere der 64er Meisterspieler zurück nach Leutzsch, den Durchbruch erlebten wir, als zum 50-jährigen Jubiläum die gesamte Mannschaft am 10. Mai den Alfred-Kunze-Sportpark betrat und frenetisch gefeiert wurde. Mittendrin: Dieter Scherbarth. „Dass ich das noch erleben darf“, ließ sich der wortkarge Ex-Stürmer entringen – den Rest genoss er schweigend und still.

Das war sein Charakter, es schien, als könne er keiner Fliege etwas zu Leide tun. Doch das konnte täuschen. Denn er konnte auch impulsiv und aufbrausend sein. „Die Schere war ein Pulverkopp“, beschrieb ihn einmal Sturmkollege Wolfgang Behla, und sein ehemaliger Mannschaftskapitän Manfred Walter pflichtete ihm bei: „Der hatte immer mal ’ne Zwangspause wegen jugendlichen Übermutes“. Zwei drastische Sperren aus seiner Zeit beim SC Lok belegen dies. Schere das später auch eher selbstkritisch: „Ich habe durch meinen enormen Ehrgeiz sicher auch manchmal übertrieben“, bekannte er einmal im Interview.

Erst mit 12 Jahren hatte Scherbarth, geboren in Schlesien, überhaupt mit Fußball begonnen, und gemeinsam mit Werner Gase fragte er 1954 beim SC Lok an, ob sie dort spielen dürften. Drei Jahre später waren die Jungs bereits DDR-Juniorenmeister mit dem SC Lok, und im gleichen Jahr rückte „Schere“ in die erste Mannschaft auf. Alfred Kunze funktionierte den Mittelverteidiger, wie der Stopper damals hieß, zum Stürmer um – mit Riesenerfolg. Als der „Rest von Leipzig“ bei der BSG Chemie anhub, einer der greößten Sensationen des DDR-Fußballs zu vollziehen, war „Schere“ dabei. Als Stammspieler wurde er Meister und Pokalsieger, bis 1976 kickte der Stürmer bei Chemie, bestreitet 600 Spiele, wird zur Ikone und wird in eigenen Liedern von den Fans gefeiert. „Oh mein Schere schieß noch eins“ ist ein Evergreen auf den Tribünen.

Beliebt ist er wegen seiner Tore, berühmt war seine Sprungkraft. Auf vielen zeitgenössischen Fotos ist zu sehen, wie er beim Sprung mit seinem Kopf in Höhe der Hände des gegnerischen Torwarts agiert. Er schonte weder den Gegner noch sich selbst. Als Chemie 1974/75 in die Liga abstieg, erklärte der damals 35-Jährige: „Ich habe die Karre mit in den Dreck gefahren, jetzt ziehe ich sie auch wieder mit heraus!“ Kult-Schriftsteller Erich Loest, selbst Chemie-Fan, schreibt in seinem Roman „Es geht seinen Gang“ über Scherbarth: „Chemie war aufgestiegen und wollte künftig ohne Schere spielen – wetten: wenn Chemie nach fünf Spielen im Keller steckte, wankte Schere nach der Halbzeit an Krücken rein?“

Nach Beendigung seiner großartigen Karriere kickte er ein Jahr in der 2. Mannschaft und ging dann als Spielertrainer nach Rackwitz, coachte später noch Engelsdorf, Lippendorf und TuB, spielte bis 2002 bei den Alten Herren Markkleeberg und beendete nach genau 50 Jahren seine fußballerische Karriere. Später reiste er mit seiner Christine durch die Welt, radelte und wanderte durch Leipzig und Umgebung. Bescheiden wehrte er jegliche Art von Huldigung immer ab, er mochte nie im Mittelpunkt stehen. Seine BSG Chemie hat er indes nie verlassen. Bei beinahe jedem Spiel war er anwesend. In den letzten Jahren verhinderte eine fortschreitende schwere Krankheit seine Anwesenheit in Leutzsch.

Nun ist unsere „Schere“ für immer von uns gegangen. Die Lieder, seine Taten und den Menschen Dieter Scherbarth werden wir niemals vergessen. „Oh mein Schere, schieß noch eins!“

Jens Fuge

Alle Fotos: Westend-Presseagentur

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