Foto: Chemie Leipzig
Bernd Rohr wird 80. Bernd wer? „Mich kennt doch keiner“, sagt er selbst von sich, ganz bescheiden. Als Fußballer hat er sicherlich überschaubare Meriten, bei der BSG Chemie Leipzig bestritt er unter Trainer-Ikone Alfred Kunze acht Oberliga-Spiele (2 Tore) und acht Intercup-Partien, später kickte er in Böhlen und bei Rotation 1950. Dennoch schrieb er Geschichte, und das gleich zwei Mal: einerseits war und blieb er laut „Wikipedia“ der einzige DDR-Fußballer mit einem „Auslandsengagement“, andererseits war er später Autor des weithin bekannten Standardwerkes „Fußball Lexikon“, das in der DDR als Buch erschien und einige Besonderheiten aufwies.
Als erstes räumt Bernd Rohr mit zwei Legenden auf. „Das mit der Auslandsengagement ist völliger Blödsinn“, sagt er lachend. Als er im November 1965 nach Kuba geschickt wurde, um beim Bau des Düngemittelwerks Cubanitro in Matanzas mitzuhelfen, war zunächst an Fußball nicht zu denken. Rohr organisierte Lebensmittel, Materialien und alles, was so gebraucht wurde für die 90 Ostdeutschen, die am Bau werkelten. Der Chemie-Ingenieur vom VEB Chemieanlagenbau Leipzig, Außenstelle Leuna, baute eine Betriebsmannschaft auf, die zum Spaß etwas kickte und ein einziges Spiel absolvierte: „Das war gegen eine jugoslawische Schiffsbesatzung, die in Matanzas vor Anker lag“, erzählt er.
Mehr Wahrheit findet sich bei seiner zweiten Karriere in der Buchbranche. 1968 wechselte er von Böhlen zu Rotation 1950, dessen einflussreicher Chef Heinz Schöbel, seines Zeichens Vorsitzender des Nationalen Olympischen Komitees der DDR, ihm einen Job im Bibliografischen Institut besorgte. „Ich hatte schon immer ein Faible für Bücher, das war also toll für mich“. Als Redakteur, später als Abteilungsleiter, arbeitete er an diversen Lexika mit, so u.a. am „Allgemeinen Lexikon von A bis Z“. Durch seine Affinität zum Fußball lag es nahe, auch an ein Fußball-Lexikon zu denken. Gesagt, getan: Gemeinsam mit dem Journalisten und „fussballwoche“-Redakteur Günter Simon schuf er das 488 Seiten umfassende Werk. Das Besondere daran: „Es kamen auch alle wichtigen West-Fußballer und -Vereine vor. Das machte es für die Leute zu etwas speziellen“. Als das Werk 1987 in beiden deutschen Staaten erschien, war es im Osten ein rares Gut – „Bückware“, wie so vieles. Zur Buchmesse gab es auf dem Sachsenplatz eine Lesung, zu der hunderte Leute anstanden und Autogramme von den Autoren wollten. Das Buch ging im Westen besonders gut, die Erstauflage von 30 000 Exemplaren war im Handumdrehen ausverkauft. Mehrere Auflagen erschienen, unter anderem gibt es Übersetzungen ins vietnamesische und tschechische.
Mit einer weiteren Mär räumt Rohr gleich auch noch auf. Die hartnäckig oft erzählte Story, dass im Buch der Name des im Westen populärsten DDR-Fußballers und Republikflüchtlings Jürgen Sparwasser nicht genannt werden durfte, ist nicht wahr. „Was aber stimmt: Wir mussten das Manuskript natürlich vom Ministerium freigeben lassen. Es kam die Anweisung, wir sollten bei Sparwasser die Länderspiele streichen. Ich ging zu meinem Cheflektor und sagte, das geht aber auf keinen Fall, das wird das Ganze ja zum Telefonbucheintrag degradiert. Zum Glück stimmte er mir zu und der Abschnitt erschien wie von mir geplant“, erinnert sich Bernd Rohr.
Mit dem Fußball begann Rohr beim SC Rotation, bevor er an die Küste wechselte. Allerdings war es kein Verein, der ihn abwarb, sondern die Abenteuerlust führte ihn nach Norden. „Mit einem Kumpel wollte ich auf der Werft arbeiten, deshalb sind wir an die Küste gegangen. Fünf Jahren blieb ich dort“, lacht Rohr. In dieser Zeit kickte er bei der Betriebssportgemeinschaft (BSG) Motor Warnowwerft Warnemünde, zunächst in der drittklassigen II. DDR-Liga, nach deren Einstellung in der Bezirksliga Rostock. „Ich spielte auch in der Nordauswahl unter dem Trainer Walter Fritzsch, der später bei Dynamo Dresden zur Legende wurde. Ganz blind war ich also sicher nicht“, erzählt Bernd. Als er nach Leipzig zurückkam, fragte er schriftlich beim SC Leipzig an, ob er dort spielen könne. Nach der Ablehnung orientierte er sich eben weiter westwärts und begann bei Chemie Halle, da er auch in Leuna arbeitete. Unter dem legendären Trainer Heinz Krügel kam er allerdings in der Saison 1964/65 nicht in Oberligaspielen zum Einsatz.
„Irgendwann sagte ich mir, wenn ich schon für Chemie spiele, dann kann ich das auch in Leipzig tun, zumal ich jeden Tag mit dem Zug durch Leutzsch fuhr“, erinnert sich Rohr. Also bewarb er sich in Leutzsch und wurde auch genommen, spielte aber zunächst in der Zweiten Mannschaft. Sein erstes Spiel unter Alfred Kunze bestritt er am 27. Mai 1965 in Stendal, wo ihm auf Anhieb ein Tor gelang. „Ich spielte als Rechtsaußen, zum allerersten Mal, sonst war ich im Mittelfeld beheimatet“, berichtet Rohr. Da er tagsüber arbeitete, trainierte er nachmittags mit Co-Trainer Heinz Frenzel allein.
Den Durchbruch schaffte er nie so richtig, aber die Spiele, die er bestritt, hatten es in sich. 3:1-Sieg gegen den SC Leipzig vor 35 000 Zuschauern, ein 1:1 und ein 3:0 gegen Jena, ein 2:0 gegen Rostock und ein 1:1 in Dresden standen zu Buche, ebenso ein mit 1:3 verlorenes Ortsderby vor 50 000 Fans. 1967 wechselte er nach Böhlen. Sein Sakastischer Kommentar: „Ich war jetzt nicht so gut, dass jemand mich daran gehindert hätte.“
Obwohl er nie zur legendären 64er Elf gehörte und nur acht Oberliga- und acht Intercup-Spiele für die Leutzscher bestritt, wird Bernd Rohr bis heute zur jährlichen Feier der Meisterelf geladen. „Eine hohe Ehre für mich“, sagt er und gesteht, dass er es eigentlich früher eher mit den Probstheidaern gehalten habe und er die Spiele von RB verfolge: „Ich freue mich aber über die Siege von allen Leipziger Mannschaften“, sagt er und berichtet, dass er nebenbei an einem neuen Projekt arbeite, einem Lexikon nur über deutschsprachige Spieler, Trainer und Funktionäre. Nur so zum Spaß, mit 80 Jahren.