Foto: Christian Donner
Diesen Tag hat sich jeder Fußballfan in Leipzig schon seit Langem im Kalender grün-weiß markiert: Zum 106. Mal kommt es zum Derby aller Derbys, grün-weiß gegen blau-gelb, West gegen Südost, Leutzsch gegen Probstheida, Chemie gegen Lok. Zum prestigeträchtigsten Spiel des Leipziger Fußballjahres empfängt die BSG Chemie Leipzig den 1. FC Lokomotive zum 37. Spieltag der Regionalliga Nordost. Tabellenplätze, Aufstiegs- oder Abstiegskampf, Zahlenspielereien, alles Nebensache, alles Beiwerk – in so einem Spiel geht es um ein klitzekleines bisschen mehr. Wie sich die Geschichte auch abspielen mag: Das nächste Kapitel in der farbenfrohen und turbulenten Historie des Leipziger Stadtderbys wird am Sonnabend, 7. Mai 2022, um 15: 30 Uhr im Alfred-Kunze-Sportpark geschrieben.
Die Saison 2021/22 aus Sicht unserer Gäste
Nachdem für die Männer aus Probstheida das Kapitel DFB-Pokal im August gegen Bayer 04 Leverkusen und das Kapitel Sachsenpokal im Oktober gegen unseren Viertelfinalkonkurrenten, den FSV Budissa Bautzen, frühzeitig in dieser Saison beendet waren, waren alle Kapazitäten frei für die großen Ziele Tabellenspitze, Meisterschaft, Aufstiegsambitionen. Volle Konzentration auf das Wichtigste, möchte man meinen. Mit drei Punkten Rückstand auf den Tabellenführer BFC Dynamo und einer um drei Tore schlechteren Tordifferenz ging man als Tabellenzweiter in die zweite Halbserie, nach oben war alles möglich. Ins Leipziger Stadtderby geht man nun als fünfter der Staffel, neun Punkte hinter dem BFC, aus drei Toren Unterschied wurden 23. Wie kommt’s?
Wenig überraschend hängt der Saisonverlauf des 1. FC Lokomotive eng mit der Pandemie zusammen. Zahlreiche Coronafälle, Isolationen, Quarantänen hatten im Saisonverlauf der Regionalliga Nordost für Lok ebenso zahlreiche Spielabsagen zur Folge. Diese Partien hingegen wollen wiederum nachgeholt werden, was für die Blau-Gelben eine hochgradig anstrengende Phase bedeutete: Zwischen Ende März und Ende April absolvierte man neun Partien innerhalb eines Monats. So verwundert es auch nicht, dass eine solche Belastung für die Fitness der Spieler – speziell auch für jene, welche eine eigene Covid-Infektion überwunden hatten und teilweise schwerere Verläufe zu beklagen hatten – direkte Rückkopplungen auf die Performance auf dem Platz und die Situation des 1. FC Lok in der Tabelle hatte.
Die Statistik spricht im betreffenden Zeitraum zwischen 30. März und 30. April, zwischen Spieltag 27 und 36, wahrlich nicht für die Blau-Gelben aus dem Leipziger Südosten. Elf Punkte aus neun Spielen, 1,22 Punkte pro Spiel, 10:14 Tore und mittlerweile neun Punkte Rückstand auf die Tabellenspitze – was mit einer 1:3-Niederlage gegen die VSG Altglienicke begann, gipfelte in zuletzt drei Spielen ohne Sieg und zwei Pleiten in Folge gegen Lichtenberg 47 und Hertha BSC II. Von der Rolle als BFC-Verfolger Nummer eins und Aspirant auf die Tabellenspitze musste man sich im Bruno-Plache-Stadion spätestens in und seit dieser Phase für diese Spielzeit dauerhaft verabschieden.
Ladehemmung und Derbystimmung: Die Formkurve in Probstheida
Einer, der trotz fortgeschrittenen Fußballeralters auch 2022/23 für Blau-Gelb die Fußballschuhe schnüren wird, ist Kapitän Sascha Pfeffer im offensiven Mittelfeld, der jüngst sein Arbeitspapier in Probstheida um ein weiteres Jahr verlängerte. Der 35jährige Pfeffer, der mit einem Schuss aus der zweiten Reihe das Hinrundenderby im Bruno-Plache-Stadion zum 1:0-Endstand für die Hausherren entschied, teilt sich zurzeit jedoch eine eher unangenehme Gemeinsamkeit mit seinen Kollegen in der Offensive der Loksche – die Ladehemmung.
Denn bei der blau-gelben Offensivabteilung ist der Wurm drin: Kapitän Sascha Pfeffer, 21-Tore-Mann Djamal Ziane, Tom Nattermann und Eric Voufack, gemeinsam für 48 von 67 Treffern des 1. FC Lok – das sind 71 Prozent (!) aller Saisontore – verantwortlich, warten allesamt seit einem Monat auf ein Tor in der Regionalliga. Der letzte Treffer eines Spielers aus diesem Quartett datiert auf den 9. April, als man gegen Tasmania Berlin nicht über ein 1:1 hinauskam; Sascha Pfeffer wendete mit seinem Ausgleichstreffer in der 50. Minute eine Blamage in Lichterfelde gerade noch ab.
Eine Offensive mit Ladehemmung und eine Lok mit stotterndem Motor: In der Formkurve über die vergangenen fünf Partien machen sich die Problemchen in Probstheida deutlich bemerkbar. Lediglich vier Punkte aus den jüngsten fünf Spielen, darunter drei Niederlagen, zwei davon zuhause und gerade einmal vier selbst erzielte Treffer seit dem 13. April – Winterneuzugang Osman Atilgan (kam von Rot-Weiß Koblenz aus der Regionalliga Südwest) auf der rechten Außenbahn allein ist es zu verdanken, dass man überhaupt einmal drei Punkte mitnehmen konnte; sein 1:0-Siegtreffer entschied das Spiel gegen Babelsberg 03 für die Loksche. Wie man es auch dreht und wendet: Für den mittlerweile auf Platz fünf der Tabelle abgerutschten Ortsrivalen kommt die Formschwäche im Vorlauf des Derbys gegen Chemie, des wichtigsten Spiels der Saison, zur absoluten Unzeit.
Frühling in Leutzsch: Rückrunde, Pokal und die Wochen des Wahnsinns
In Leutzsch könnte die Stimmung in den vergangenen Wochen jedoch kaum besser sein. Die Grün-Weißen befinden sich auf dem Weg zu einer der erfolgreichsten Saisons des Leutzscher Fußballs. Erst vier Mal musste sich die BSG Chemie Leipzig in diesem Kalenderjahr dem Gegner geschlagen geben, in den vergangenen zehn Partien gab es sogar nur eine einzige Niederlage – und diese eine Niederlage war das 0:2 im Alfred-Kunze-Sportpark gegen den Berliner AK, drei Tage nach dem tollen Flutlichtsieg nach Elfmeterschießen im Sachsenpokalhalbfinale gegen den Drittligisten vom FSV Zwickau, der jetzt schon als die bisher grün-weiß-magischste Nacht dieses Jahres gelten dürfte. Abseits dieses furiosen Finaleinzugs dürfen natürlich auch die beiden bärenstarken Siege mit jeweils 3:2 gegen Jena und die VSG Altglienicke nicht unterschlagen werden, letztere immerhin bis zu diesem Spieltag die beste Mannschaft der Rückrunde.
Für den Endspurt dieser sensationellen Saison stehen nun die Wochen des Wahnsinns ins Haus: Sie beginnen am Sonnabend mit dem Leipziger Stadtderby, führen acht Tage später mit einem eigens gecharterten Sonderzug in die Oberlausitz – der FC Energie Cottbus hat bereits über 1200 Gästetickets verkauft und freut sich auf einen möglichen Zuschauerrekord für diese Saison – und wiederum nur sechs Tage später ins Stadion an der Gellertstraße nach Chemnitz, wo Chemie den Sachsenpokal gewinnen will.
Derbytime excellent: Alles zum Leipziger Stadtderby
Auch, wenn man selbstverständlich die großen fußballhistorischen und zahlenspielenden Ergüsse über das Leipziger Stadtderby bemühen könnte – das nächste Derby ist immer das Wichtigste. Daher soll uns hier ein kurzer Blick auf die jüngsten Begegnungen im Leipziger Fußball genügen, speziell in der Regionalliga Nordost.
Insgesamt begegneten sich die beiden Leipziger Vereine, in ihren aktuellen Instanzen, viermal in der Regionalliga Nordost. Bisher spricht die Statistik hier für die Loksche, für die aus diesen vier Partien zwei Siege zu Buche stehen; einmal trennten sich die Lokalrivalen 0:0. Auch das Hinspiel der aktuellen Saison – tatsächlich ist die aktuelle Spielzeit die erste seit 2017/18, in der wieder zwei Derbys ausgetragen werden (können) – ging an die Blau-Gelben, Sascha Pfeffer verwandelte in einem nachvollziehbarerweise umkämpften Derby zum 1:0-Endstand.
Ohnehin spiegelt die Statistik die durch und durch kämpferische Natur dieser Begegnungen sehr gut wider: Ganze vier Tore fielen bisher in den Ligaduellen der beiden Traditionsclubs, zwei auf jeder Seite; welche der Loksche zwei Mal zum 1:0-Sieg gereichten. Der jüngste und bisher einzige Derbysieg der BSG Chemie in der Regionalliga Nordost datiert auf den 6. Oktober 2019, als die Grün-Weißen vor heimischer Kulisse im Alfred-Kunze-Sportpark Blau-Gelb mit 2:0 nach Hause schickten; Florian Schmidt und Daniel Heinze erzielten die Tore für Chemie und schrieben ihre ganz persönlichen Zeilen der Leutzscher Legende.
Nach 944 Tagen ist endlich wieder Derbytime in Leutzsch! Zum 37. Spieltag der Regionalliga Nordost und zum 106. Leipziger Stadtderby empfängt die BSG Chemie den 1. FC Lokomotive am Sonnabend, 7. Mai 2022, um 15:30 Uhr im Alfred-Kunze-Sportpark in Leipzig-Leutzsch. Die Partie steht unter der Leitung von Schiedsrichter Philipp Viereck vom VfB Fortuna Biesdorf.
Das Spiel ist ausverkauft – all denjenigen Chemiker:innen, die nicht zu den Glücklichen auf den Rängen des Sportparks gehören werden, sei wie immer unser Live-Ticker und unser Fanradio Fünfeck.FM ans Herz gelegt; darüber hinaus überträgt der Mitteldeutsche Rundfunk MDR bei Sport im Osten live. Wir von der BSG Chemie Leipzig freuen uns auf ein hitziges, aber faires Derby gegen die Loksche! Bisher musste sich der 1. FC Lok in dieser Saison erst einmal auf fremdem Platz geschlagen geben – vielleicht passiert es am Sonnaebend zum zweiten Mal.
Auf zum Derbysieg — Forza, BSG!