Foto: Christian Donner
Es duftet schon wieder ganz kräftig nach Tradition im Alfred-Kunze-Sportpark, womöglich mehr noch als sonst. Die Regionalliga Nordost hält für alle Fußballfreund:innen aus Leutzsch zum 31. Spieltag ein weiteres Schmankerl bereit, wenn sich die Elf des FC Carl Zeiss Jena mit der BSG Chemie Leipzig messen wird. Nachdem beide Teams am vergangenen Wochenende ihre Pokalaufgaben lösen und in die nächste Runde ihrer jeweiligen Landespokale einziehen konnten, geht es weiter mit dem täglich Brot in der Liga – und die ist zweifellos in ihrer heißen Phase angekommen. Während die BSG Chemie mit dem jüngsten Unentschieden in Rathenow die 40-Punkte-Marke knacken konnte, sich gesichert im Mittelfeld der Staffel befindet sind die Voraussetzungen für die Thüringer gänzlich andere. Der Tabellenzweite liegt zur Zeit acht Punkte hinter dem Spitzenreiter aus Berlin und darf sich für eine letzte realistische Chance auf Meisterschaft und Aufstieg keine Fehler mehr erlauben, wenn man es am übernächsten Spieltag auswärts im direkten Duell mit dem Tabellenführer zu tun bekommt. Die BSG Chemie Leipzig empfängt den FC Carl Zeiss Jena am morgigen Sonntag, 3. April 2022, um 13 Uhr im Alfred-Kunze-Sportpark in Leutzsch.
Für Carl Zeiss stehen zurzeit turbulente Wochen, tiefgreifende Veränderungen und diverse harte Entscheidungen ins Haus. Der Investor aus Belgien, der ehemalige Senator und Milliardär Roland Duchâtelet, hatte die Entscheidung bekannt gegeben, die Hälfte seiner Anteile von der FCC-Spielbetriebsgesellschaft abzustoßen und von der Verpflichtung zurückzutreten, jährlich das strukturelle Defizit des Vereins in Höhe von 1,5 Millionen Euro auszugleichen. Er gab unter anderem an, den Weg für lokale und regionale Unterstützung freimachen zu wollen. Seit seinem Einstieg im Dezember 2013, als die Insolvenz der GmbH drohte, hat Duchâtelet über zehn Millionen Euro bei Carl Zeiss investiert. Die besagte lokale Unterstützung hat sich jüngst gefunden und der zukünftige Weg des FC Carl Zeiss beginnt Formen anzunehmen: Auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung wurde die Zustimmung gegeben, den Einstieg Lars Eberleins – Geschäftsführer der jenArena GmbH, Gesellschafter der Bau- und Betreibergesellschaft für das neue Stadion von Carl Zeiss und parallel dazu seit Langem in gleicher Rolle bei den Basketball-Zweitligisten von Science City Jena investiert – als neuen Gesellschafter anzunehmen.
Das bisher erarbeitete Zukunftskonzept soll bis zur nächsten ordentlichen Mitgliederversammlung des Vereins beschlussreif sein und einen klaren Weg für den FCC in den kommenden Jahren aufzeigen. Unter der Maßgabe, kein fremdes Geld mehr annehmen zu wollen, wird man in Jena zukünftig die eine oder andere harte Entscheidung über Einsparungen treffen müssen, welche auch am höchsten Kostenfaktor, der ersten Männermannschaft, nicht spurlos vorbeigehen werden.
Der bisherige Etat für die Erste soll von 1,8 Millionen um mindestens eine halbe Million Euro sinken. Der Kader soll gleichzeitig deutlich reduziert (mit Mittelfeldspieler Theodor Bergmann verließ bereits ein Akteur den Verein im Winter in Richtung BFC Dynamo) und deutlich verstärkt auf die eigene Jugendarbeit gesetzt werden. Auch Cheftrainer Andreas Patz, dessen Vertrag sich im Falle eines Aufstiegs in die 3. Liga automatisch verlängern würde, muss dann mit einem Co-Trainer weniger zurecht kommen. Zur Zeit laufen Vertragsgespräche mit dem 38jährigen zur Verlängerung, sollte der FCC auch in der kommenden Saison in der Regionalliga Nordost spielen.
Patz, der vorher als Videoanalyst und Trainer der U19 bei Carl Zeiss sowie von 2018 bis 2020 als Co-Trainer in der belgischen ersten Liga tätig wär, übernahm das Amt im Oktober 2021 von Dirk Kunert. Nach einem 2:2 gegen Hertha BSC II musste dieser seinen Platz räumen, da man das klare Saisonziel Aufstieg in Gefahr sah. Von diesem klaren Saisonziel möchte man momentan offiziell nichts mehr wissen – die nötigen Unterlagen für die Beantragung einer Lizenz für die 3. Liga wurden dennoch frist- und formgerecht eingereicht, sicherheitshalber.
Von Jena, vom zweiten Patz aus gesehen, zeigt die Tabelle der Regionalliga Nordost ein auf den ersten Blick klares Bild: Von oben grüßt der BFC Dynamo aus der Hauptstadt mit 68 Punkten aus 30 Partien. Im Rücken auf Position drei nähert sich der 1. FC Lok Leipzig mit 57 Zählern und nur drei Punkten Rückstand, bei zwei verbleibenden Nachholspielen. Der FC Carl Zeiss, mit zwölf Punkten aus den jüngsten fünf Partien eindeutig der Formkurve nach das Team der Stunde in der Liga, hat nach 30 ausgetragenen Spielen 60 Punkte auf dem Konto. Bei acht verbliebenen Spieltagen und somit 24 zu vergebenden Punkten ist also im Aufstiegskampf womöglich noch mit mehr Spannung zu rechnen, als es dem ein oder anderen vielleicht lieb ist.
Denn der FC Carl Zeiss hat es, wenn die Sterne günstig stehen, wirklich noch selbst in der Hand mit der Meisterschaft und der Chance auf den Aufstieg in die 3. Liga: Das Restprogramm der Jenaer sieht neben dem direkten Duell mit dem Spitzenreiter BFC Dynamo in der kommenden Woche lediglich zwei weitere Begegnungen mit Teams aus dem oberen Drittel der Tabelle vor. Hinzu kommt, dass drei der acht ausstehenden Gegner mit Optik Rathenow, dem VfB Auerbach und dem FSV Union Fürstenwalde Teams sind, denen, bei allem Optimismus, kaum mehr Chancen auf den Klassenerhalt bestehen. Der BFC Dynamo, der auch noch die drei Teams von den Abstiegsplätzen vor sich hat, muss hingegen noch gegen den Chemnitzer FC ran und schließt die Saison mit zwei anspruchsvollen Partien gegen den Berliner AK und die VSG Altglienicke ab, bei denen es alles andere als sicher ist, dass man keine Federn lässt – gerade, wenn man einem Aufstiegsaspiranten wie dem BFC in die Suppe spucken kann.
In Jena, allen voran bei Trainer Andreas Patz, gibt man sich bescheiden und will das Wort Aufstieg nicht hören, auch, wenn man zu einer Rückkehr in Liga drei (nach den bisherigen Aufenthalten 2008–2012 und 2017–2020) mit Sicherheit nicht nein sagen würde. Die jüngsten Ergebnisse sprechen eine klare Sprache: Unter Patz hält man einen bärenstarken Punkteschnitt von 2,10 pro Spiel. In der Rückrundentabelle steht man punktgleich mit dem BFC Dynamo an der Spitze. Die Spielidee von Patz – Offensivfußball, hohes Verteidigen, Dominanz auf dem Platz in Spiel und Körpersprache – scheint zu fruchten und Carl Zeiss wurde mit 36 Punkten aus 18 Partien unter dem neuen Trainer belohnt. Nach sieben ungeschlagenen Spielen mit fünf Siegen in Folge sah Patz, der natürlich mit einem Kader arbeiten muss, der für und mit Dirk Kunert zusammengestellt wurde, im Vorfeld der Partie bei der BSG Chemie jedoch wiederholt eher Ernüchterndes.
Sowohl in der Liga als auch im Thüringer Landespokal waren die Auftritte des FCC zuletzt weniger überzeugend. Nach dem 0:1 vor heimischem Publikum gegen die Zweitvertretung der Berliner Hertha muss man sich in Jena an die eigene Nase fassen, konzentriert in dem Punkt Chancenverwertung. Denn in puncto Effizienz war für den FCC in Berlin noch viel Luft nach oben. Klar, Nils Körber im Kasten der Berliner erwischte einen absoluten Sahnetag, aber es lag bei weitem nicht nur am Keeper der Herthaner, dass der FCC ohne Torerfolg und ohne Punktgewinn blieb. Auch gegen Tabellenschlusslicht Tasmania Berlin mühte man sich im Nachholer zu einem eher schmeichelhaften 1:0-Auswärtserfolg gegen couragierte Tasmanen, weil man über weite Strecken die nötige Konsequenz vermissen ließ und spielerisch alles andere als einen Leckerbissen auf dem Platz zeigte. Am vergangenen Wochenende ging es im Thüringen Pokal ins Halbfinale bei der SpVgg Geratal. Gegen den Sechstligisten ging man, der eindeutigen Favoritenrolle gerecht, zwar in Führung, ließ vor allem in Durchgang zwei jedoch deutlich zu viel zu und machte trotz Klassenunterschied erst in den letzten 20 Minuten den Deckel auf die Partie. Vor allem bei Dreifachvorbereiter Lucas Stauffer darf man sich bedanken, dass es auf dem Sportplatz Kickelhähnchen nicht noch unnötig spannend wurde.
Auf einige Akteure im Kader kann sich der FCC-Chefcoach stets verlassen: Mit Fabian Eisele, ihrem aus 3. Liga und unterschiedlichen Regionalligen erfahrenen Stürmer, der bereits 14 Treffer erzielen konnte, stellt man einen der vier besten Torschützen, mit Maximilian Oesterhelweg und seinen neun Assists einen der Top-Vorbereiter der Regionalliga Nordost. Darüber hinaus zeichnet den FC Carl Zeiss Jena eine formidable Abwehrleistung (25 Gegentore in 30 Spielen) in dieser Saison aus, lediglich der Tabellenführer aus Hohenschönhausen (drei Gegentore weniger) kann mit einer besseren Defensive aufwarten.
Nicht zur Verfügung stehen werden unseren Gästen aus Jena die Gebrüder Dedidis, sowohl Torwart Alexios als auch Mittelstürmer Vasilios fallen verletzungs- und krankheitsbedingt seit Mitte Februar aus. Darüber hinaus droht mit Lange, Slamar, Wolfram, Langer und Bürger gleich vier Spielern des FC Carl Zeiss im Falle einer weiteren Verwarnung eine Sperre im Heimspiel gegen den nie zu unterschätzenden FSV Luckenwalde am kommenden Mittwoch.
Auch für die BSG Chemie Leipzig geht es bereits am Mittwoch in der Liga weiter – doch vor Auerbach ist nach Bautzen. Der Sachsenpokal rief die Chemiker am vergangenen Samstag zum FSV Budissa. Gegen einen stark und kämpferisch auftretenden Oberligisten, der sich teuer verkaufte und lange mithalten konnte, errang die Leutzscher Elf nach 90 Minuten einen Arbeitssieg mit 2:0 (0:0). Für die BSG Chemie trafen Timo Mauer nach einem ansehnlich zu Ende gespielten Angriff der Leutzscher sowie Philipp Wendt, der in der 90. Minute sein erstes Tor nach Verletzung markierte.
Nach wie vor als krankheits- oder verletzungsbedingte Ausfälle sind für die BSG Chemie Max und Ben Keßler, Akpeko, Schmidt, Janke und Mvibudulu zu verbuchen. Die besten Genesungswünsche ins chemische Lazarett an dieser Stelle!
Mit dem morgigen Vergleich kommt es zum 60. Punktspiel-Aufeinandertreffen bei der Mannschaften. In jüngerer Vergangenheit trafen die Teams nach über 15 Jahren Pause zweimal in der Regionalliga Nordost aufeinander, bei beiden Partien gingen drei Punkte an den FCC. Auch die Gesamtbilanz geht an die Thüringer: in den 59 Spielen siegte Jena 31-mal, Chemie konnte nur 17-mal gewinnen. Elf Spiele endeten unentschieden bei einem Gesamt-Torverhältnis von 68:96 aus Sicht der BSG. Ein Blick auf die jüngeren Spiele: in der abgebrochenen Saison 2020/21 endete das Spiel mit 0:2 im Alfred-Kunze-Sportpark. Doch in weit besserer Erinnerung ist das Hinspiel dieser Saison im Ernst-Abbe-Sportfeld: Nach 2:0-Rückstand stellte die BSG Chemie innerhalb von sechs Minuten auf 2:2 und zeigte eine bärenstarke Leistung in einem Spiel mit offenem Visier. Das Zünglein an der Waage war ein Handelfmeter gegen die BSG Chemie in der Nachspielzeit der zweiten Hälfte, am Ende gewann Jena mit 3:2. Man könnte sagen, eine Rechnung wäre noch offen – abgerechnet wird im AKS.
Die morgige Partie steht unter der Leitung von Schiedsrichter Eric Weisbach (TSV Leuna). Allen Chemiker:innen sei gesagt: Die Häuser leer, das Stadion voll, niemand bleibt zuhaus’! Weder der MDR noch Ostsport.TV werden mit Kameras vor Ort sein und live übertragen – Chemie vor dem Fernseher ist am Sonntag also nicht drin. Live dabei sein ist alles! Nichtsdestotrotz stehen euch in der App der BSG Chemie natürlich wie immer unser Live-Ticker und unser Fanradio Fünfeck.FM zur Verfügung. Es riecht nach Fußballfest: Der Alfred-Kunze-Sportpark und die BSG Chemie Leipzig freuen sich auf ausverkauftes Haus beim Traditionsduell gegen Carl Zeiss. Anpfiff ist pünktlich um 13:00 Uhr.
Drei Punkte für die Leutzscher Legende – Forza, BSG!
kiro