Foto: Christian Donner
In der Folge des grün-weißen 2:0-Auswärtssieges im Nachholspiel gegen den VfB Germania Halberstadt geht es für die chemischen Leutzscher zum 23. Spieltag der Regionalliga Nordost erneut in die Fremde: Mit der Tasmania aus Berlin empfängt der aktuelle 16. der Regionalligatabelle die BSG Chemie Leipzig zum Gastspiel um die nächsten Zähler auf dem Weg Richtung Klassenerhalt. Doch auch die Tasmanen, welche sich in der zweiten Saisonhälfte mit der Tatsache konfrontiert sehen werden, den Abgang ihres besten Scorers der laufenden Spielzeit kompensieren zu müssen, finden sich am Sonntag nicht auf ihrem klassischen Tasmania-Terrain wieder – aufgrund des nach wie vor nicht abgeschlossenen Bau- und Lizenzierungsverfahrens für den altehrwürdigen Werner-Seelenbinder-Sportpark in Neukölln begrüßen die Tasman aus Berlin die Grün-Weißen am kommenden Sonntag, 30. Januar 2022, um 13 Uhr im Stadion Lichterfelde (Ostpreußendamm 3–17) im Südwesten der Hauptstadt.
Wer sich mit dem Verein Tasmania Berlin beschäftigt, sei es flüchtig oder sei es intensiv, wird nicht darum herum kommen, sich des Kuriosums bewusst zu werden, welches die Tasmanen im (bundes-)deutschen Fußball darstellen, beziehungsweise welchen fragwürdigen Titel die Berliner seit nunmehr fast 60 Jahren ihr Eigen nennen können: Es begab sich in den frühen 1960er Jahren, als die Fußball-Bundesliga der Herren noch in den Kinderschuhen steckte, dass eine gewisse „Alte Dame“ aus Berlin aus der noch jungen Bundesliga abstieg. So weit, so 2010. Wie kam es aber dazu? Tasmania Berlin wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Befreiung Deutschlands durch die Alliierten durch deren Kontrollbehörden aufgelöst. Eine Neubildung der Tasmania von 1900 erfolgte dann 1946 unter dem Namen SG Neukölln-Mitte. Nach dem im Jahr 1949 endlich erlangten Aufstieg in die Stadtliga der Hauptstadt, etablierte man sich mit drei Berliner Meisterschaften und fünf Berliner Pokalsiegen zügig als dominante Kraft im Fußball West-Berlins. Nachvollziehbarerweise variierten die Reaktionen zwischen Unverständnis und böser Überraschung, als dem Lokalrivalen Hertha BSC derjenige, für die deutsche Hauptstadt vorgesehen Startplatz in der neu geschaffenen Bundesliga zugesprochen wurde. Proteste seitens der Tasmanen gegenüber dieser Benachteiligung verpufften ergebnislos. Zwei Jahre später witterte man bei der Tasmania erneut Morgenluft: Der Hertha wurden, gelinde gesagt, zumindest Unregelmäßigkeiten in den eigenen Bilanzen nachgewiesen und darüber hinaus kam ans Licht, dass die Herthaner Spielern Handgelder zahlten, um sie ins Berliner Westend zu locken, was seinerzeit strikt verboten war. Aufgrund dieser zwischen Unregelmäßigkeit und Betrugsversuch – je nachdem, wen man fragt – rangierenden Sachlage wurde der Alten Dame im Jahr 1965 die Lizenz entzogen, der Zwangsabstieg angeordnet und ein neuer Teilnehmer der ersten Liga der Herren gesucht. Denn: Selbst abseits aller seinerzeit bestehenden politischen Gründe warf es natürlich kein gutes Licht auf die noch junge Bundesliga, wenn kein einziger Klub der deutschen Hauptstadt in der deutschen Erstklassigkeit spielte. Die Tasmania hatte in der Vorsaison in der Berliner Stadtliga lediglich den dritten Platz erringen können und war demnach nicht einmal die erste Wahl für den frei gewordenen Spot in der Bundesliga. Doch der Favorit unter den Berliner Klubs und Vorjahreserste, Tennis Borussia, war bereits in der regulären Aufstiegsrunde gescheitert; der Zweite des Vorjahres, der Spandauer SV, verzichtete freiwillig und so war die Tasmania an der Reihe. Nebenbei: Dem, auf gut deutsch gesagt, Kuddelmuddel dieser frühen Jahre der Bundesliga und konkret dieser einen Saison, zu deren Beginn auch noch ein sympathischer Ruhrpottklub namens Schalke 04 in die Erstklassigkeit dazustieß, ist es zu verdanken, dass sich die Bundesliga seither aus 18 statt aus 16 Mannschaften zusammensetzt.
So kam es also, dass die Tasmania in die Rolle schlüpfte, die ihr der Fußball und seine Historie zugestanden haben: Der Aufsteiger, der nie einer sein sollte. Die Verantwortlichen und Spieler des Vereins erfuhren zwei (!) Wochen vor Saisonbeginn von ihrem Glück, in 14 Tagen voll professionellen Fußball spielen zu dürfen und sich von ihrem bisherigen beruflichen Leben zu verabschieden. Einen nicht unerheblichen Teil des Bundesligakaders erreichte diese Nachricht gar per ADAC-Reiseruf im Urlaub im Ausland. In der Kürze der Zeit, gemessen an den Strukturen und auch der Verfassung und Verfasstheit der Tasmania in diesen Tagen, war es unmöglich, einen auch nur ansatzweise schlagkräftigen Bundesligakader zu formen. Folglich kam es, wie es eigentlich kommen musste und die Tasmania tat in den folgenden 34 Spielen ihr Möglichstes, das zu werden, als was sie in die deutsche Fußballgeschichte eingegangen ist: Als die schlechteste Bundesligamannschaft aller Zeiten. Nach dem vor 81.000 Zuschauer:innen im Olympiastadion ausgetragenen 2:0-Saison-Auftaktsieg gegen den Karlsruher SC folgte die längste Serie ohne Sieg in der Bundesliga (31 Spiele). Die zweifelhafte Ehre von nur zwei gewonnen Spielen in einer Saison teilt man sich lediglich mit dem Wuppertaler SV (Saison 1974/75), vom letzten Platz in der Ewigen Bundesligatabelle wird man sich aber kaum mehr verdrängen lassen. Bei gültiger Zwei-Punkte-Regel wurden lediglich acht von 60 möglichen Punkten geholt (entspricht heute zehn von 102), man schoss die wenigsten Tore (15), kassierte die meisten (108), hatte demnach die schlechteste Tordifferenz (-93), erreichte die wenigsten Siege (zwei) und die meisten Niederlagen (28), die schlechteste Heimbilanz der Bundesligageschichte (sieben von 34 möglichen Punkten), die höchste Heimniederlage (0:9 gegen den Meidericher SV Duisburg) und, aufgrund des rapiden Abfalls der Zuneigung des Publikums, auch die niedrigste Zuschauerzahl bei einem Bundesligaheimspiel außerhalb der Ära Corona: 827. Mehrere dieser Rekorde halten und hielten die Tasmanen sogar bis in die jüngste Vergangenheit. Schalke 04 hatte zwar in der vergangenen Saison scheinbar alles daran gesetzt, den Neuköllnern ihre Rekorde streitig zu machen, doch gelang den Schalkern ausgerechnet im 31. Spiel ohne dann schließlich doch ein Dreier. Die Spielvereinigung aus Fürth allerdings konnte sich mit zwölf Niederlagen in Folge immerhin einen Rekord für die Ewigkeit in der Bundesliga sichern und Tasmania ablösen.
Na, und heute? Für die Tasmanen ging es nach dem kurzen Intermezzo in der Bundesliga, welches einerseits unvergesslich und andererseits absolut zum Vergessen war, noch einige Jahre in der damaligen Regionalliga Berlin weiter, bevor der Verein Tasmania 1900 Berlin im Jahre 1973 bankrott ging. Im selben Jahr, kurz vor knapp, wurde der inoffizielle Nachfolgeverein SV Tasmania 73 Neukölln gegründet. Dieser durchlief turbulente Zeiten bis zur Jahrtausendwende und erlebte einen Absturz bis in die fußballerische Achtklassigkeit. Von 2010 bis heute gelangen den Tasmanen, die seit 2011 wieder als SV Tasmania Berlin antreten, vier Aufstiege aus der achten Liga bis in die heutige Regionalliga Nordost, in welcher die Berliner seit ihrem Meistertitel in der Oberligasaison 2020/21 gemeinsam mit der BSG Chemie Leipzig antreten. Das bislang einzige Aufeinandertreffen Anfang August vergangenen Jahres konnte die BSG Chemie nach Toren von Stephané Mvibudulu und Benjamin Schmidt im heimischen Alfred-Kunze-Sportpark mit 2:0 für sich entscheiden.
Für unseren kommenden Gegner beginnt mit der Partie gegen die chemischen Leutzscher auch offiziell das Fußballjahr 2022. Während der Winterpause kam in den Kader des Traditionsklubs aus Neukölln leise Bewegung, welche zumindest zum Teil Einfluss auf die erst Elf von Trainer Abu Nije hat: Mit Emre Emir verlässt nach beinahe vier Jahren im Verein der in dieser Saison beste Scorer der Tasmanen den Verein ablösefrei. Der offensive Mittelfeldmann Emir, der in bisher 13 Spielen in dieser Spielzeit fünf Tore und zwei Assists sammeln konnte, bleibt aber nach wie vor in der Hauptstadt und wechselt innerhalb Berlins zu den Reinickendorfer Füchsen in die sechtsklassige Berlinliga. Darüber hinaus beendete auch Außenverteidiger Kaan Demir sein seit Juli 2021 dauerndes Gastspiel in Neukölln und verließ die Tasmania ebenfalls ablösefrei zu seinem vorherigen Verein, dem SV Salamander Kornwestheim in die Landesliga Württemberg. Im Gegensatz zu Emre Emir kommt der 22jährige in der laufenden Saison lediglich auf einen einzigen Einsatz, bei dem er im Berlin-Pokal zwar im Kader stand, aber keine Spielminuten sammeln konnte. Neuzugänge vermeldete die Tasmania, die in der vergangenen Sommerpause kräftig auf dem Transfermarkt zugelangt hatte, in dieser Winterpause jedoch nicht.
Auch, wenn dies für unsere grün-weißen Chemiker gerade in dieser starken Regionalliga Nordost eigentlich nie der Fall ist, so lässt sich doch festhalten, dass die BSG zumindest als leichter Favorit nach Lichtenberg fährt. Denn das Team von Abu Njie, welches sich momentan auf Tabellenrang 16 befindet, kann mit der bisherigen Ausbeute von nur 16 Punkten bei 21 absolvierten Partien schlichtweg nicht zufrieden sein. Drei Siegen stehen bei sieben remis bereits elf Niederlagen gegenüber – jedes zweite Spiel geben die Berliner also verloren. Darüber hinaus stellen die Tasmanen mit lediglich 19 selbst geschossenen die mit Abstand schlechteste Offensive der Liga und haben sogar noch weniger Tore erzielt als unsere Chemiker, die, so ehrlich muss man auch angesichts der eigenen Torausbeute sein, offensiv oft nicht höher gesprungen sind als sie mussten. Doch im Gegensatz zu den Grün-Weißen fehlt der Tasmania ein stabiles Abwehrbollwerk à la unserer Runde um Karau, Keßler und Bellot: Ließ die chemische Abwehr und allen voran unsere Nummer 1, Benjamin Bellot, der seinen Vertrag bei der BSG Chemie in diesen Januartagen langfristig verlängert hat, bisher lediglich 24 Treffer zu, so waren es bei den Berliner Tasmanen mit 49 Gegentoren mehr als doppelt so viele. Mut machen könnte dem Team von Abu Njie eventuell die Tatsache, dass alle Siege in der bisherigen Saison auf eigenem Rasen erstritten wurden, aber da lediglich ein Siebtel der bisherigen Partien überhaupt gewonnen werden konnte, hat diese Ermutigung einen gewissen Beigeschmack. Zwar gingen zuhause nur zwei von zehn Spielen verloren, doch unsere Chemiker, für ihren Teil, entschied die Hälfte ihrer Auswärtspartien für sich. Kurz: Der Saisonverlauf der Tasmanen gibt zu diesem Zeitpunkt wenig Grund zur Hoffnung und auch für das erklärte Ziel Klassenerhalt wird für die Tasmania eine große Portion Aufwand und eine Extraportion Glück nötig sein.
Unsere BSG Chemie Leipzig wird also mit dem Schwung des Auftakt-Nachhol-Sieges gegen den VfB Germania Halberstadt am vergangenen Wochenende im Rücken und mit breiter Brust die Fahrt nach Lichterfelde antreten. Voraussichtlich nicht dabei sein kann Tom Müller, der nach einem taktischen Foul und gelb-rot in der Schlussphase der Partie gegen Halberstadt diese Sperre absitzen muss. Hierzu kurios: Laut einer Neuauslegung der Vorteilsregel seitens des Regelkonsortiums IFAB, welche seit 2021 greift, wäre für dieses taktische Foul eigentlich keine gelbe Karte erlaubt gewesen, es sei denn, der Schiedsrichter hätte das Foul Tom Müllers als einer roten Karte würdig angesehen – was es nicht war. Demnach ist zu hoffen, dass die Sperre unseres immer prägnanter auftretenden Offensivmannes im kommenden Spiel nicht zum chemischen Nachteil gereicht. Darüber hinaus wird Coach Miroslav Jagatic auf Florian Brügmann nach seiner Verletzung am Knie im Test gegen Einheit Wernigerode, Manuel Wajer, Philipp Wendt und Max Keßler verzichten müssen, welche allesamt verletzungs- beziehungsweise krankheitsbedingt ausfallen. Ebenso ist der Einsatz von Neuzugang Simran Dhaliwal mehr als fraglich. Die Startelf gegen Halberstadt, welche zu den richtigen Zeitpunkten mit Qualität von der Bank alimentiert wurde – Mvibudulu, Kirstein, Kanther – hat ihre Sache jedoch ohnehin mehr als ordentlich gemacht und einen guten Eindruck hinterlassen, weshalb nichts dagegen sprechen dürfte, dass Miroslav Jagatic auch dieser Truppe wieder sein Vertrauen schenkt. Tolle Signale auf der Mission Klassenerhalt, welche bestimmt auch innerhalb des Teamgefüges die Dynamik zum Positiven aufwerten können, sind selbstverständlich in den vergangenen Tagen die zahlreichen Vertragsverlängerungen unserer Leistungsträger und Führungsspieler gewesen, welche ein deutliches Zeichen in die Zukunft zeigen und beweisen: Da geht was, in Leutzsch, da wächst etwas. Benjamin Bellot, Alexander Bury, Benjamin Schmidt, Philipp Wendt, Florian Kirstein, um nur einige zu nennen – die Freude bei Fans und Verantwortlichen auf die grün-weißen Dinge, die da kommen mögen, erklärt sich von selbst. Doch auch mit der stetig weniger werdenden Belegung des grün-weißen Lazaretts erweitern sich die Optionen unseres Trainers und gerade diese Flexibilität und die Kaderqualität in Erst- und Zweitbesetzung lassen für die Rückrunde der BSG Chemie Leipzig begründeten Optimismus zu.
Der SV Tasmania Berlin empfängt die BSG Chemie Leipzig am kommenden Sonntag, 30. Januar 2022, um 13 Uhr im Stadion Lichterfelde in Berlin – nicht im Werner-Seelenbinder-Sportpark in Neukölln. Es wird am Stadion eine reguläre Tageskasse geben und auch bei „voller“ Auslastung der erlaubten 50% Publikumsgröße sollten für alle interessierten Chemiker:innen problemlos Karten zu erstehen sein. Ein Online-Vorverkauf besteht nicht, es gilt: Hinfahren, Ticket kaufen, Chemie supporten, drei Punkte einsammeln und wieder zurück. Es gelten in Berlin zurzeit für Stadionbesuche an der frischen Luft 3G-Regeln, das heißt: Zutritt zum Stadion erhalten nur Personen, die geimpft, genesen oder tagesaktuell getestet sind. Das Testergebnis darf hierbei nicht älter als 24 Stunden sein; Selbsttests sind hier nicht gültig. Darüber hinaus werden Daten zur Kontaktverfolgung erhoben und die Nachweise über den eigenen Impfstatus werden am Einlass vorgezogen kontrolliert. Wir empfehlen dringendst, den nötigen Corona-Test vorab in Leipzig durchführen zu lassen, um Zeit und Aufwand zu sparen.
Allen denjenigen Chemiker:innen, die nicht vor Ort in Lichterfelde unsere Grün-Weißen supporten können, sei wie immer unser Live-Ticker und unser Fanradio Fünfeck.FM wärmstens ans Herz gelegt, beides ohne großen Aufwand zu finden in der App der BSG Chemie Leipzig. Halberstadt, Tasmania, Babelsberg, Meuselwitz: Vier Spiele, zwölf Punkte – Forza, BSG!
kiro