Foto: Moritz Heidenblut
Die Vorkommnisse bei unserem Auswärtsspiel beim BFC Dynamo am vergangenen Sonntag haben uns schockiert. In den vergangenen Stunden haben wir die Geschehnisse vereinsintern aufgearbeitet und von allen Beteiligten, insbesondere Spieler und Trainer, Gedächtnisprotokolle abgefragt. Dabei ist uns eine genaue und auf Fakten basierende Analyse sehr wichtig, um im Sinne unserer Werte weitere Schlüsse zu ziehen. Bei der Wiedergabe unserer Sicht der Dinge müssen wir stellenweise auch auf das Statement des BFC Dynamo vom gestrigen Montag eingehen.
Zunächst gratulieren wir der Mannschaft des BFC zum Heimsieg. Unsere Chemie-Elf hatte in der Schlussphase noch einmal alles versucht, um den Ausgleich zu erzielen, die Berliner machten kurz vor Spielende mit dem 2:0 jedoch alles klar und entschieden die Begegnung verdientermaßen für sich. Daran gibt es für uns nichts zu rütteln, weshalb wir an dieser Stelle unmissverständlich festhalten: Das sportliche Ergebnis hat mit unserem Willen, uns zu den Begleiterscheinungen abseits des Spielfelds zu äußern, nichts zu tun.
Zu den Vorkommnissen: Bereits während des Spiels – nicht erst nach dem Spiel – wurden unsere Einwechselspieler und der Betreuerstab aus dem BFC-Fanblock mit Gegenständen, darunter auch mit Kies gefüllte Trinkbecher, beworfen. Um die Situation nicht unnötig weiter anzuheizen, verzichteten unsere Spieler und Offiziellen darauf, diese Vorgänge beim Schiedsrichter zu melden, und entfernten stattdessen die Gegenstände vom Spielfeld.
Vollkommen inakzeptabel ist das Verhalten gegen unseren Spieler Benjamin Luis, der bei seiner Einwechslung und im restlichen Spielverlauf von mehreren (nicht nur einem einzelnen) BFC-Anhängern wegen seiner Hautfarbe mit Affenlauten und rassistischen Schmähwörtern belegt worden ist.
Nachdem sich unsere Mannschaft nach Spielende von den mitgereisten Chemie-Fans verabschiedet hatte und zur Trainerbank zurückgekehrt war, um Bekleidung und Material einzusammeln, wurde sie erneut und diesmal massiv mit Gegenständen, darunter wieder mit Kies gefüllte Becher, aus dem Fanblock des BFC Dynamo beworfen und musste sich unterirdischen Beleidigungen aussetzen. Der Beschuss zog sich über mindestens eine Minute hin, ohne dass einer der verantwortlichen Sicherheitsorgane (v.a. Stadionsprecher, Ordnungsdienst, die sich teilweise noch im Innenraum aufhielten und die Geschehnisse wahrgenommen haben) in geeigneter Form erkennbar und entscheidend eingegriffen hat. Selbiges trifft auch auf die Berliner Polizei zu, die viel zu spät vor Ort zwischen Gästetrainerbank und Zuschauerbereich präsent war.
Unserem Trainer Miroslav Jagatic, der erst später zu seinen Spielern hinzugestoßen war und die Mannschaft deeskalierend vom Brennpunkt entfernte, wurde unter anderem von einer Einzelperson zugerufen: „Deine Sippe gehört vergast!“ Erst daraufhin (!) verlor auch unser besonnener Trainer, in der Regionalliga überall bekannt als fairer Sportsmann, kurzzeitig die Ruhe und reagierte auf die Verbalattacken.
Wir stellen fest: Mit diesem Zuruf gegen unseren Trainer sowie Herabwürdigungen gegen unseren Spieler Benjamin Luis ist für uns eine Grenze überschritten worden. Diese rassistischen, antisemitischen und menschenverachtenden Entgleisungen im gesprochenen Wort- und Liedgut, wie es im Sportforum lautstark zu hören waren, sowie Gestik einzelner lassen uns im Jahr 2021 entsetzt und fassungslos zurück.
Betonen möchten wir, dass einzelne Personen aus dem Trainerteam des BFC die Szenen an der Trainerbank miterlebten und unsere Spieler vor den Wurfgeschossen versuchten zu schützen. Dahingehend hinterlassen auch die Aussagen des BFC-Trainers Christian Benbennek auf der Pressekonferenz einen faden Beigeschmack, die die Geschehnisse im Stadion versuchen zu relativieren. Das Gleiche gilt für die Stellungnahme des gastgebenden Vereins BFC Dynamo, in der unser Trainer Miroslav Jagatic für sein angebliches „unbesonnenes und eskalierendes Verhalten“ kritisiert wird. Wir entgegnen: Bei bestimmten grenzüberschreitenden Angriffen, wie hier geschehen, kann von keinem Menschen erwartet werden, diese einfach nur ruhig über sich ergehen zu lassen und den Platz kommentarlos zu verlassen.
Wir, die BSG Chemie Leipzig, stellen uns vor unsere Mannschaft und unseren Trainer. Wir werden auch in Zukunft jegliche erdenklichen Maßnahmen ergreifen, um unsere eigenen ebenso wie die gegnerischen (!) Spieler vor rassistischen Anfeindungen und Herabwürdigungen zu schützen, die in keinem Fußballstadion der Welt Platz haben. Zugleich verurteilen wir die unerträgliche Täter-Opfer-Umkehrung seitens des BFC Dynamo in seiner Stellungnahme. Eine deutliche Klarstellung – vor allem gegenüber unserem Trainer und unseren Spielern – empfinden wir durchaus als angemessen.
Wir fordern den Nordostdeutschen Fußballverband auf, die Geschehnisse anhand vorliegender Bilder, Videos und Einschätzungen aus dem Stadion genau zu prüfen und endlich Rassismus und Antisemitismus in den Stadien als gesellschaftliches Problem ernst zu nehmen, anstatt mit seinen Sportgerichten ausschließlich auf symbolische Sanktionierung zu setzen.