Foto: Christian Donner
Den Beginn der Wochen um die besonders wichtigen Punkte läutet die morgige Partie unserer BSG Chemie Leipzig gegen den FSV Luckenwalde ein. Beide Teams trennen lediglich zwei Zähler, zudem ist ein Wiedersehen zweier Vereine, zwischen denen es in der jüngeren Vergangenheit (sportlich) des Öfteren geknistert hatte. Hochspannung ist also garantiert. Anstoß im ausverkauften Alfred-Kunze-Sportpark ist 13.30 Uhr.
Wie so viele Vereine aus dem Gebiet der ehemaligen DDR hat auch der FSV 63 Luckenwalde eine interessante kleine Geschichte zu erzählen. Vor der Wende hieß er nämlich TSV Luckenwalde und entstand durch den Zusammenschluss der beiden Luckenwalde Vereine BSG Motor und BSG Fortschritt Luckenwalde. Kurios: Motor-Vorgänger BV 06 Luckenwalde nahm vor allem am Berliner Ligabetrieb teil, erreichte sogar zweimal das Berliner Pokalfinale, in dem man jeweils Hertha BSC unterlag. Die BSG Fortschritt hingegen hatte ihre Wurzeln in der Arbeitersportbewegung, war unter dem Namen „Luckenwalde Turnerschaft“ Mitglied im Arbeiter Turn- und Sportbund (ATSB) und wurde von den Nationalsozialisten zwangsaufgelöst. Der 1963 ins Leben gerufene Fusionsverein TSV Luckenwalde war dann überwiegend auf Bezirksebene unterwegs. Seit dem Mauerfall schickt die 20.000-Einwohnerstadt südlich von Berlin ihre Fußballer als FSV 63 Luckenwalde auf das Feld, wobei die „63“ an die TSV-Vergangenheit erinnert. Die Vereinsfarben sind traditionell Blau-Gelb, was an dieser Stelle aber verziehen sei.
Überregionale Beachtung erfuhr der FSV wieder 2015, als man erstmals in die Regionalliga Nordost aufstieg. Zuvor entwickelte sich der Verein kontinuierlich weiter, immerhin war man vor 2000 noch nicht einmal auf Landesebene aktiv. Eine wichtige Weichenstellung erfolgte mit der Sanierung des Werner-Seelenbinder-Stadions im Jahr 2006, seitdem darf man das „Seele“ durchaus als kleines Schmuckkästchen bezeichnen. Auch Regionalliga-Lizenzauflagen wie Flutlicht werden erfüllt.
Vor rund vier Jahren begann auch die gemeinsame Geschichte des FSV mit unserer BSG Chemie Leipzig. Als unsere Chemiker nämlich 2017 zum ersten Mal seit Neugründung der BSG in der Regionalliga aufgestiegen waren, kreuzten sie ihre Klingen auch mit den Luckenwaldern. Heraus kamen ein 2:1-Sieg in letzter Sekunde daheim im Alfred-Kunze-Sportpark und ein 1:1-Remis im Seelenbinder-Stadion. Am Ende stiegen beide Vereine in die Oberliga ab. Außergewöhnlich: Anders als sonst wurden unsere morgigen Gäste damals in der Südstaffel der Oberliga eingestuft, so dass man abermals einander begegnete – nur, dass aus dem Abstiegsduell ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den Aufstieg geworden war. Im Hinrundenspiel auswärts gab es für die Leutzscher mit einem 0:5 aus Chemie-Sicht derbe auf die Mütze, die Favoritenrolle um die Rückkehr in die Regionalliga wanderte nach dieser klaren Nummer nach Brandenburg. In der Rückrunde rappelten sich unsere Grün-Weißen wieder auf und hatten im Schlussspurt den längeren Atem. Entscheidend auch die 2:2-Punkteteilung im direkten Duell im AKS, Chemie fortan wieder viertklassig. Der FSV musste noch ein weiteres Jahr warten, als Tabellenzweiter hinter der U23 des FC Carl Zeiss Jena (die wegen den Abstiegs der Profis nicht hochdurfte) erhielt man folgerichtig das Aufstiegsrecht.
Die mittelfristige Zielstellung der Luckenwalder lautet die Etablierung in Deutschlands vierthöchster Spielklasse, man tut der Mannschaft von Trainer Jan Kistenmacher aber gewiss kein Unrecht, sie erneut als Mitkonkurrent unserer Chemiker um den Verbleib in der Liga einzustufen. Ihre bisherigen Ergebnisse sind ein perfektes Beispiel für die enorme Leistungsdichte der RL 2020/21: ein 1:3-Auswärtssieg in Babelsberg, ein 1:2-Erfolg bei den Hertha-Bubis, ein 1:1-Punktgewinn zu Hause gegen den Berliner AK, wichtig auch der 1:0-Auftaktsieg gegen Germania Halberstadt, das auch um den Klassenerhalt spielt. Zwar setzte es auch vier Niederlagen, wirklich deutlich wurde es aber nur vor einem Monat beim 2:5 gegen den BFC Dynamo, das sich zu diesem Zeitpunkt aber schon in der neuen Spielzeit eingrooven konnte. Gleiches gilt für Carl Zeiss Jena, gegen das man vor einer Woche mit 0:2 den Kürzeren zog, wobei der Führungstreffer für die Thüringer erst in der 67. Minute und das entscheidende Tor zum 0:2 erst drei Minuten vor Ultimo fiel. Als Tabellendreizehnter mit zehn Punkten, nur zwei Punkte hinter unserer BSG, wird man höchst motiviert sein, „Big Points“ aus Leutzsch zu entführen.
Ein gehöriges Wörtchen mitzureden haben hierbei unsere Fünfeckträger, die zuletzt gegen Jena (0:2) und Viktoria Berlin (2:3) zwar zwei Niederlagen einstecken mussten, sich dabei aber geradezu sündhaft teuer verkauften. Apropos sündhaft: Etwas gesündigt hatte die Jagatic-Elf vor allem gegen die Zeiss-Kicker bei der Chancenverwertung. Bei der ebenfalls äußerst knappen Niederlage gegen Tabellenführer Viktoria sah dies schon wieder besser aus, sodass die grün-weiße Brust morgen wieder breit sein wird. Zwar haben Trainer Miroslav Jagatic und sein Co Christian Sobottka angesichts von Knieproblemen (Denny Krahl und Philipp Wendt) sowie einiger grippaler Infekte (Tarik Reinhard, Alexander Bury und Florian Schmidt; für Letzteren ist es aufgrund eigener Luckenwalde-Erfahrung ganz besonders schade) mit Personalproblemen zu kämpfen, doch hatten die Leutzscher schon in der Vergangenheit aus der Not eine Tugend gemacht und waren „noch enger zusammengerückt und füreinander in die Bresche gesprungen“, wie es Jagatic seit jeher lehrt und fordert. Wir dürfen gespannt sein, welches Gesicht bzw. welche Gesichter die Chemie-Elf morgen haben wird.
Bekannt sind in jedem Falle die Gesichter drei weiterer Akteure aus der Gilde, die eigentlich nicht zur Hauptfigur avancieren wollen, nämlich die Schiedsrichter. Es handelt sich um Eugen Ostrin (Eisenach) sowie seine Assistenten Matthias Lämmchen und Chris Rauschenberg. Wir hoffen auf eine bei aller Wichtigkeit trotzdem fairen Partie, bei der die Karten vielleicht nicht ganz so locker sitzen wie zuletzt in Berlin.
Die Partie ist übrigens ausverkauft. Alle Zuschauer bitten wir, sich auch weiterhin so vorbildlich zu verhalten wie in den Wochen davor. Nur so können wir erstens Corona einen Strich durch die Rechnung machen und zweitens perspektivisch sogar noch mehr Chemie-Fans wieder zurück im AKS begrüßen. Also seid wie immer solidarisch und lautstark.
Forza BSG!