
Foto: Christian Donner
Mit Tennis Borussia Berlin trifft die BSG Chemie Leipzig morgen um 13:30 Uhr im Berliner Mommsenstadion auf eine der großen Unbekannten der neuen Regionalligasaison. Dass der Verein an sich alles andere als unbekannt ist, liegt auch an seiner bewegten Vergangenheit.
Ein Exkurs in die TeBe-Geschichte
Bereits der Name lässt aufhorchen: Tennis Borussia Berlin. Fußball klingt anders. Tatsächlich wurde der Verein im April 1902 als „Berliner Tennis- und Ping-Pong-Gesellschaft Borussia“ gegründet. Seit 1903 wurde auch gekickt, und das zunehmend erfolgreich, denn in den 20ern gehörten TeBe zu den erfolgreichsten Fußballmannschaften der Hauptstadt. Leider musste der aufstrebende Verein mit der Machtergreifung der Nazis einen herben Rückschlag hinnehmen, denn die jüdischen Vereinsmitglieder, immerhin ein Drittel der Mitglieder, verließen den Verein, um einem Zwangsaustritt zuvorzukommen. Auch nach dem Krieg war TeBe, mittlerweile unter dem heutigen Namen Berliner Tennis-Club Borussia unterwegs, eine dominante Figur im Berliner Fußball, spielte bundesweit trotz zweier Bundesligateilnahmen 1974 und 1976 jedoch weiter nur zweite Geige.
Nach der Wende hatten die Berliner 1993 schon einmal in Liga zwei hineingeschnuppert, waren dank der Finanzspritzen der ominösen Göttinger Gruppe ab 1996 gar drauf und dran, Erzrivale Hertha BSC den Status als Berliner Nummer eins streitig zu machen. Doch viel Geld – das weiß niemand mehr als wir Chemiker – bedeutet nicht immer viel Erfolg, der erhoffte sportliche Erfolg blieb aus. Nach der Jahrtausendwende zerplatzte das Luftschloss endgültig, die Geldquelle Göttinger Gruppe versiegte und man erhielt keine Lizenz mehr für die 2. Bundesliga. Nach einer Insolvenz in der Folge musste Tennis Borussia schließlich 2011 in der 6. Liga, der Berlin-Liga, antreten.
Doch die Westberliner rappelten sich wieder auf. Anteil daran hatten zum einen die treue Fangemeinde, die ihren Verein u.a. mit der Retter-Kampagne „We save TeBe“ vor dem endgültigen Exitus bewahrte – zum anderen der ehemalige Hauptsponsor Crunchfit mit seinem Geschäftsführer Jens Redlich. Der jedoch erwies sich als Alleinherrscher, wurde nach einem Machtkampf geschasst. Die neue Führungsriege möchte Tennis Borussia zukünftig wieder breiter aufstellen und die Machtkonzentration Einzelner oder Weniger verhindern.
Zum Sportlichen
Eine sportliche Verortung der Berliner in der einmal mehr zur „besten Regionalliga aller Zeiten“ erklärten Regionalliga Nordost fällt schwer. Belastbare Erkenntnisse liefert vielleicht die Tabelle der Oberliga Nord 2019/20, die TeBe zum Saisonabbruch souverän vor Verfolger Greifswald anführte. Dabei wussten die Lila-Weißen sowohl offensiv als auch defensiv zu überzeugen: 61 Tore in 19 Spielen standen lediglich 17 Gegentore Gegentore gegenüber. In gerade einmal 4 Spielen (2 Remis, 2 Niederlagen) konnte TeBe nicht die volle Punktausbeute erzielen. In allen 10 Heimspielen behielt TeBe die Oberhand, sodass das auf 11.500 Zuschauer zugelassene Mommsenstadion, traditionelle Heimstätte der Borussen und morgen wegen Corona-Auflagen mit leider nur 850 Zuschauern ausverkauft, zumindest in der Oberliga als regelrechte Festung betrachtet werden konnte. Überraschend: Erfolgstrainer Dennis Kutrieb, 2017 übrigens Co-Trainer an der Seite von Miro Jagatic bei der VSG Altglienicke, erlag trotz des Erfolgs den Reizen des Abenteuers England, wo er fortan Fünftligist Ebbsfleet United trainiert. Neuer Chef an der Seitenlinie ist Markus Zschiesche, zuvor u.a. U19-Trainer von Energie Cottbus und absoluter Kenner der regionalen Fußballlandschaft.
In der Auftaktpartie beim Quotientenregel-Vizemeister Altglienicke setzten die Aufsteiger schon das erste Achtungszeichen und mussten erst in der 95. Minute per Foulelfmeter die 2:3-Niederlage hinnehmen. Demzufolge fand Coach Zschiesche nach Spielende vor allem lobende Worte für sein Team, auch wenn Kapitän und Toptorjäger Nicolai Matt (13 Tore in der Vorsaison) befand, „selten bitterer verloren“ zu haben. Beobachter bescheinigten den Lila-Weißen jedenfalls beachtliche Qualitäten im Spiel nach vorn, während hinten noch der eine oder andere Wackler auftreten könne.
Vielleicht besteht hier ja die Chance für unsere Chemie-Elf, die Berliner aus einer sicheren Defensive heraus mit der neuen grün-weißen Turbo-Offensive in Bedrängnis zu bringen. Wie genau der Matchplan der Chemiker aussieht, das will Trainer Miro Jagatic freilich noch nicht verraten. Genereller Plan ist es, die Leistung aus dem Spiel gegen den BFC zu konservieren und immer wieder abzurufen, um möglichst schnell die benötigten Punkte zu sammeln. Verzichten muss die BSG dabei zunächst auf Alex Bury (rotgesperrt, zusätzlich verletzt) und Benjamin Schmidt (Zahn-OP). Vom NOFV kam unterdessen in der beinahe abgelaufenen Woche per Brief noch einmal die Erinnerung, dass Jubeltrauben nach Toren in der momentanen Zeit verboten sind. Von Miro Jagatic und der BSG kommt der Appell an eventuell mitreisende Fans, die sich am Tageskartenkontigent der Berliner bedient haben: verhaltet euch verantwortungsbewusst!
Die Mann, nach dessen Pfeife die Spieler morgen zu tanzen haben, heißt Florian Markhoff. Der 30-Jährige pfeift für den Hagenower SV, stößt also von der Küste zum Spiel im Mommenstadion, und machte mit der BSG bereits Bekanntschaft bei ihren Gastspielen in Cottbus und beim Berliner AK im vergangenen Jahr. Nach einer Niederlage (Cottbus, 1:2) und einem Unentschieden (BAK, 1:1) aus Chemie-Sicht ist das logisch folgende Ergebnis für den morgigen Tag jedenfalls, augenzwinkernd, schon klar. Wir freuen uns auf eine spannende Begegnung im Mommsenstadion und wünschen dem Schiedsrichter-Gespann allzeit gutes Gelingen!