… ertönte es unablässig aus den Kehlen des Leutzscher Anhangs. Bis unsere BSG Chemie tatsächlich mit den „Reds“ aus der englischen Hafenmetropole konkurrieren kann, werden vermutlich noch ein Jährchen ins Land ziehen. Aber Träumen wird ja wohl noch erlaubt sein. Unsere Mannschaft jedenfalls entführte dank einer formidablen Leistung gegen starke Görlitzer einen Punkt nach Leipzig-Leutzsch und stellte insbesondere in der zweiten Halbzeit unter Beweis, dass sie aus einigen Fehlern der jüngsten Vergangenheit gelernt hat.
Trotz vieler Hindernisse gelang es den fleißigen Organisatoren am Ende doch noch, fünf (!) Reisebusse für die längste Auswärtsfahrt der diesjährigen Landesligasaison zu gewinnen und leckere Brötchen sowie Getränke bereitzustellen. Ein großes „Dankeschön“ an dieser Stelle an die Verantwortlichen. Problemlos und gut gelaunt traf man rechtzeitig in der niederschlesischen Oberlausitz ein und wurde durch gute Gastgeber anständig empfangen. Am Ende bevölkerten mehr als 300 Chemiker den supportfreundlichen Gästeblock. Überhaupt dürfte das Görlitzer Stadion „Junge Welt“ zu den attraktivsten Spielstätten der Sachsenliga gehören.
Aufgrund des großen Andrangs – die offizielle Zuschauerzahl wurde auf 1019 beziffert – pfiff der jederzeit souveräne Schiedsrichter Karsten Lößnitz (Chemnitz) das Spiel mit mehrminüter Verzögerung an. Gelegenheit genug also, sich die Mannschaftsaufstellung der Grün-Weißen zu Gemüte zu führen und festzustellen, dass große Überraschungen ausblieben. Nach seinem krankheitsbedingten Ausfall gegen den FC Grimma war Abwehrroutinier Frank Paulus wieder mit von der Partie. Goalgetter Hönemann dagegen laboriert weiterhin an seiner Kreuzbandverletzung. Die Abwehr bildeten also Portleroy, Meißner, Paulus und Jeßner, im Mittelfeld dirigierten und wirbelten Krömer, Kapitän Preussner, Bader und Schilling, während Schammer als hängende Spitze hinter Mittelstürmer von der Weth agierte.
Behrings Mannen begannen druckvoll, bemüht, früh erste Zeichen zu setzen, dass man nicht gewillt war, die Punkte den Görlitzern, die zuletzt durch bemerkenswerte Resultate (4:1 gegen Einheit Kamenz, 2:1 in Heidenau) auf sich aufmerksam machten, kampflos zu überlassen. Bereits in der ersten Minute hätte sich der Elan beinahe bezahlt gemacht: Eine in dieser Form eher ungewollte Flanke Stephan Schammers verfehlte Matthias von der Weth nur um Haaresbreite, die Kugel trudelte knapp am Tor vorbei. Die Görlitzer wirkten kurzzeitig überrascht ob der Leutzscher Initiativkraft, erlangten aber im Laufe der Zeit immer mehr Zugriff auf das Spiel und kamen alsbald zu ihrer ersten Torchance, als Josef Nemec, nicht verwandt oder verschwägert mit der Schalke-Legende Jirí, nach einer Freistoßhereingabe von links das linke, falsche Bein zur Vollstreckung wählte und den Ball deshalb nicht erwischte (10.). Wenig später wieder die Leutzscher: Stephan Schammer brachte von der Grundlinie eine hohe Bogenlampe in den Rückraum, wo Alexander Portleroy das Kopfballduell für sich entscheiden konnte und in den Strafraum hinein köpfte. Die Görlitzer Verteidigung spielte auf Abseits, doch die Fahne blieb unten, als von der Weth zum Objekt der Begierde spurtete. Leider hatte Schlussmann Christoph Zwahr exzellent mitgespielt und in letzter Sekunde geklärt. Das Spiel blieb abwechslungsreich. Diesmal waren wieder die Gastgeber an der Reihe: Adam Jaworski luchste der BSG-Abwehr die Pille ab und hatte nur noch Keeper Lippmann vor sich, der jedoch frühzeitig den Winkel verkürzte und mit Hilfe einer tollen Reaktion seine Mannschaft vor dem Rückstand bewahrte – dafür gab es „Daniel Lippmann“-Sprechchöre aus dem Gästeblock. Und womit? Mit Recht!
Die nächste Chemie-Chance ergab sich durch eine aussichtsreiche Freistoßsituation halblinks vor dem Strafraum. Auf Heimseite war man um Gelassenheit bemüht („ganz ruhig, der geht doch voll in die Mauer rein“), doch als Erik Baders Schlenzer nur wenige Zentimeter an der Torwartecke vorbei strich, ging ein Raunen durch das gesamte Stadion. Im Folgenden wurde das Spiel rassiger, besonders die Leutzscher versuchten, gegnerische Angriffe durch Zweikampfhärte zu unterbinden. Gelb-Weiß bestach durch einen kontrollierteren Spielaufbau und gefährliche Angriffe über die Außenbahnen. So auch nach etwa 25 Minuten, als der bullige Nemec nach einer flachen Hereingabe von links dieses Mal den richtigen, den rechten, Fuß wählte, die Kugel jedoch trotzdem über das Tor jagte. Im Anschluss hatten beide Teams kleine bis gute Torgelegenheiten, die jedoch allesamt ungenutzt blieben. Leider verletzte sich Chemie-Verteidiger Dave Jeßner in einem Zweikampf im Mittelfeld und musste ersetzt werden. Für ihn kam Norman Lee Gandaa, der fortan neben von der Weth mitstürmte, während Tim Krömer die Rolle des rechten Außenverteidigers annahm und Stephan Schammer auf seine angestammte Position auf der linken Außenbahn rückte.
Die Halbzeitpause wurde bei subtropischen Temperaturen von den meisten Chemikern zur intensiven Aufsuchung des reibungslos laufenden Cateringstandes genutzt, andere glänzten mit opernreifer Stimmgewalt und sangen durch. Wiederum andere ließen den Spielverlauf Revue passieren und kamen zu dem Schluss, dass es wohl die Niederschlesier waren, die zu großen Teilen der Begegnung den Ton angaben.
Die zweite Spielhälfte begann mit einem gelb-weißen Paukenschlag. Jaworski setzte mit einem Steilpass in die Gasse Jonathan Schneider in Szene, dessen Schuss allerdings hervorragend von Lippmann vereitelt wurde. Die Gefahr war jedoch noch nicht beseitigt, denn Lukas Helcelet kam von rechts noch einmal zur Flanke, die ihren Abnehmer in Paul Lehmanns Kopf fand – knapp daneben! Auch die Fünfeckträger blieben nicht untätig. Gerade Norman Lee Gandaa machte unter Verwendung seiner anatomischen Merkmale ordentlich Alarm in der Offensive und wäre fast erfolgreich bewiesen, nachdem er sich durch die halbe Hintermannschaft durchgewühlt hatte, sein Abschlussversuch aber gerade noch so verhindert wurde. Apropos Hintermannschaft: Die BSG-Abwehr mauserte sich in der zweiten Hälfte immer mehr zum sicheren Rückhalt des Leutzscher Spiels. Insbesondere Patrice Meißner, der im ersten Durchgang mit einigen Unsicherheiten zu kämpfen hatte, avancierte zum Kopfballungeheuer und drosch die Bälle nicht mehr nur noch blindlings aus der Abwehr hinaus, sondern leitete mit umsichtigen Pässen die eine oder andere Kontersituation ein. So stellte der Bereich, der in den bisherigen Ligaspartien ein ums andere Mal Anlass zur Sorge gab, das wichtigste Rad in der chemischen Spielmaschinerie dar. „Dass wir erneut ohne Gegentor ausgekommen sind“, bestätigt auch Verteidiger Portleroy, „gibt uns wieder mehr Selbstvertrauen.“
Das Tolle an Chemie-Spielen ist, dass auch bei einem torlosen 0:0 Torjubel zelebriert werden. Eben dies geschah nämlich, als Lee Gandaa sich in der 73. Minute auf links durchsetzte und flach in den Rückraum passte. Dorthin war Stephan Schammer gelaufen, dessen Schuss von der Görlitzer Verteidigung abgeblockt wurde – genau zum auf der Höhe des Fünfmeterraums lauernden Matthias von der Weth, der keinerlei Probleme hatte, zum 0:1 einzunicken. Leider befand er sich zum Zeitpunkt des Schammerschen Schusses deutlich im Abseits, was das Schiedsrichtergespann korrekt erkannte. Der Treffer zählte nicht. Langeweile kam auch in der Folgezeit nicht auf, es entwickelte sich ein offener Schlagabtausch, auf beiden Seiten rollte Angriff um Angriff. Die beste Möglichkeit der Görlitzer gab es in der 80. Minute zu bestaunen. Ein Freistoß aus knapp 25 Metern, den man nicht zwingend geben musste, zirkelte Nemec herrlich über die Mauer und nur der Innenpfosten verhinderte den Rückstand – kollektives Durchatmen im Leutzscher Fanblock. Viel Zeit dafür wurde nicht gewährt, denn nur zwei Minuten später hatte von der Weth die größte Chance des Spiels, als er seinen Gegenspieler Tino Pietsch stehen ließ, im Abschluss jedoch zu ungenau war, sodass Torhüter Zwahr dank einer Großtat Sieger blieb.
Kurz vor Schluss wurden im Heimbereich wüst geführte Auseinandersetzungen zwischen einigen wenigen Vertretern beider Fanlager beobachtet. Völlig unnötig, wenn ihr den Autor fragt. Wenn das Bier alle gewesen ist, dann hätte man die Gastgeber doch lieber freundlich bitten können, noch ein Fass zur Verfügung zu stellen. Sicher wären die Ausrichter diesem Wunsch nachgekommen. Womöglich ist man ja beim nächsten Mal klüger. Wie man es besser macht, zeigte ein Fan, der sich beim Schiedsrichter persönlich für die wirklich gute Leistung bedankte – Fairplay at its best, auch wenn nach dem Spiel vielleicht der bessere Zeitpunkt gewesen wäre!
Nach 92 Minuten waren beide Seiten mit dem Punktgewinn zufrieden. „Das Endergebnis geht so in Ordnung“, findet Alex Portleroy, „es war ein Spiel mit Höhen und Tiefen“. Die Spieler bedankte sich bei ihren Fans für die tolle („sensationelle“, wenn es nach Portleroy ginge) Unterstützung und die Fans bei ihrer Mannschaft für den couragierten Auftritt auf dem Feld. So sollte es sein! Auf die Frage, wie der sportliche Auftritt des Teams einzuschätzen sei, spricht der 24-jährige von einer guten Mannschaftsleistung, allerdings hätten Daniel Lippmann und auch Matthias von der Weth mit ihren bravourösen Leistungen etwas herausgestochen. Die BSG Chemie rückt im Ranking aufgrund des Sieges der SG Leipzig-Leutzsch um einen Platz nach unten. Das Resultat ist ebenso – neben der Tatsache, dass sich mittlerweile vier Teams (SGLL, Chemie, Bischofswerda und Görlitz) den dritten Tabellenplatz teilen – ein klarer Beweis für die extreme Ausgeglichenheit der Liga, schließlich erreichte Chemie ein Remis beim Kamenz- und Heidenau-Bezwinger Gelb-Weiß Görlitz. „Der NFV war sicherlich ein sehr kompakter und spielstarker Gegner“, resümierte Portleroy, „aber wenn man ordentlich dagegen hält und sich nicht versteckt, haben auch sie ihre Probleme.“ Nach schier endloser dreieinhalbstündiger Rückfahrt erreichte der Buskonvoi schließlich ohne Zwischenfälle wieder den Alfred-Kunze-Sportpark und entließ seine 250 Insassen in den Sonntagabend.
NFV Gelb/Weiß Görlitz 09: Christoph Zwahr – Tino Pietsch, Felix Grundmann – Paul Lehmann (72. Clemens Russek) – Adam Jaworski, Jonathan Schneider – Klemens Fraustadt, Miroslav Sentivan, Josef Nemec, Lukas Helcelet (63. Marcin Potyszka), Lars Krüger; Trainer: Fred Wonneberger
BSG Chemie Leipzig: Daniel Lippmann – Felix Preussner, Michael Schilling (90. Marcus Wolf) – Alexander Portleroy, Dave Jeßner (31. Norman Lee Gandaa), Erik Bader – Matthias von der Werth, Stephan Schammer, Tim Krömer (60. Matthias Gothe), Patrice Meißner, Frank Paulus; Trainer: Rene Behring
Tore: Fehlanzeige
Schiedsrichter: Karsten Lößnitz (Zwickau) – Assistenten: Sebastian Fritzsch (Weischlitz), Enrico Jahn (Plauen)
Zuschauer: 1019
Gelbe Karte: Josef Nemec / Stephan Schammer
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