Foto: Stephan Waan
„Ein Schuss vor den Bug“, „ein Dämpfer zur rechten Zeit“, „lieber einmal 0:5, als fünfmal 0:1“. Das Spitzenspiel der Landesliga Einheit Kamenz gegen Chemie Leipzig bot reichlich Stoff für Phrasendrescher. Aber irgendwie stimmen sie ja auch alle. Wie es zur herben Pleite gegen hoffnungslos überlegene Kamenzer kam, soll hier nachvollzogen werden.
Dabei standen die Vorzeichen gar nicht so schlecht. Alle drei Saisonspiele zuvor konnten gewonnen werden, auch wenn die zweite Halbzeit gegen Oelsnitz alles andere als spitzenreiterwürdig verlief. Goalgetter Hönemann überwand seine Ladehemmung, traf dreimal gegen die Vogtländer und Chemie spielt teilweise ansehnlichen Offensivfußball. Aber auch die vor dem Spiel punktgleichen Kamenzer setzten mehrere Achtungszeichen, vor allem mit einem 5:3-Triumph über Aufstiegsfavorit Red Bull II.
So fanden sich am nicht mehr ganz so frühen Morgen gut 200 Zugfahrer – darunter auch Spieler und Offizielle, Daumen hoch dafür! – am Leipziger Hauptbahnhof ein, um die dreistündige Anreise anzutreten. Die Fahrt verlief fröhlich und ohne Zwischenfälle, was den jederzeit besonnenen Fahrgästen, aber auch relativ entspannten Polizisten zu verdanken war. Der Weg vom Kamenzer Bahnhof zum „Stadion der Jugend“ wurde ebenfalls recht fix zurückgelegt, sodass sich einige noch eine gehörige Portion Spaß, Speis‘ und Trank beim lokalen Shoppingstützpunkt gönnten. Am Ende fanden sich offiziell 679 Zuschauer, darunter knapp 400 Chemie-Fans im schmucken Rund ein. Erfreulich: Keine nervigen Bauzäune, ein angenehmer Sicherheitsdienst und ein gut positionierter Gästeblock. Auch die Kommunikation zwischen beiden Vereinen im Vorfeld stimmte – gern öfter so! Zur Belohnung gab es eine schmucke, kleine Choreographie mit Spruchband („Die BSG zog uns in ihren Bann“, wie wahr, wie wahr) und 1000 Luftballons. Leutzscher-Welle-Reporter Fünfeckl meinte sogar, Rauchzeichen aus dem Wald erspäht zu haben.
Dass der Autor so viele Worte über das Drumherum verliert, hat seinen Grund: Es gibt einfach wenig Positives über das Spiel – jedenfalls als Leutzscher Sicht – zu vermelden. Einheit Kamenz zeigte von der ersten Minute an, wer der Herr im Hause ist und ließ die BSG zu keinem Zeitpunkt wirklich zur Entfaltung kommen. Nach vorn wurde sehenswerter One-Touch-Fußball gespielt, der die Leutzscher Verteidigung bereits frühzeitig in die Bredouille brachte. Folgerichtig durften die Heimzuschauer, darunter auch gut 20 Tornados, bereits nach 10 Minuten zum ersten Mal jubeln, als Franz Häfners satter Schuss aus dem Rückraum leicht abgefälscht wurde und unter der Latte einschlug. Das frühe Führungstreffer war für die in rot gekleideten Gastgeber überhaupt kein Anlass, einen Gang zurückzuschalten, Entlastung nach vorn fand auf Seiten der BSG quasi nicht statt. Keine zehn Minuten waren seit dem 0:1 gespielt, da klingelte es erneut im Kasten von Andreas Rudolf. Nach einem Freistoß von rechts taucht Sebastian Hempel völlig unbedrängt vor dem Chemie-Goalie auf und ist als erster am Ball – Kopfball, Tor, 0:2. Lange Gesichter im Gästeblock, so hatte man sich das nicht vorgestellt.
Doch es kam noch schlimmer: Nachdem Chemie wieder einmal den Ball nicht hinten raus bekam, versuchte sich Einheit-Kapitän Andreas Zichner an einer artistischen Einlage, wofür er aus dem grün-weißen Block Gelächter erntete. Diese blieben den Lästermäulern allerdings schnell im Halse stecken, denn der missgeglückte Fallrückzieher ward zur Vorlage für den wiederum komplett blank stehenden Ondrej Holecek, der nicht lange fackelte und die Kugel aus spitzem Winkel in die Maschen knallte (33.).
Sechs Minuten später wurde die Leutzscher Schießbude erneut von den wie entfesselt aufspielenden Kamenzern heimgesucht, Häfner konnte den bemitleidenswerten Rudolf nach Flanke von links ein weiteres Mal überwinden. Es wäre beinahe noch schlimmer gekommen, doch Sebastian Kiebacks traf aus 17 Metern „nur“ die Querlatte. Zuvor war Patrick Neumann durch die halbe Leutzscher Hintermannschaft spaziert. Glücklicherweise pfiff Schiri Köber pünktlich zur Halbzeit.
Die fachkundigen Halbzeitanalysen waren verständlicherweise von deutlicher Ernüchterung geprägt, nur einige wenige erinnerten sich des Kicks von voriger Woche, als es die BSG war, die trotz 4:0-Führung zur Halbzeit noch einmal gewaltig ins Schwimmen gerat.
Chemie-Trainer René Behring versuchte, über die Einwechslungen von Marcus Wolf und Norman Lee Gandaa neue Impulse für die Offensive zu setzen. Dies gelang zumindest teilweise, denn Einheit ließ es nun etwas ruhiger angehen. Außerdem gingen die Grün-Weißen nun robuster in die Zweikämpfe und übergaben das Mittelfeld nicht mehr kampflos dem Gegner. Glasklare Torchancen konnten leider dennoch nicht erarbeitet werden. Gandaa versuchte es ab und an per Distanzschuss, aber so richtig wollte einfach nichts klappen. Bezeichnend, wie Chemie die größte Gelegenheit zum Ehrentreffer vergab: Florian Gerbers Foulelfmeter konnte Kamenz-Keeper Tom Berger parieren. Stattdessen setzten die Sorben in der 73. Minute den Schlusspunkt: Patrick Neumann umspielte Rudolf und schob zum 5:0 ein.
Eine leider auch in dieser Höhe absolut verdiente Niederlage, gleichermaßen eine Mahnung zur realistischeren Betrachtung des derzeitigen Standes. Um eine starke, eingespielte Truppe wie Kamenz zu bezwingen bedarf es eben schon 90 Minuten vollster Konzentration, denn jeder Fehler wird gnadenlos bestraft. Trotzdem besteht kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken, denn die Mannschaft hat in den Spielen zuvor bewiesen, dass sie es besser kann und kann dies schon am nächsten Samstag erneut zeigen. Dementsprechend gab es statt sinnloser Pfiffe auch aufmunternden Applaus von der im zweiten Spielabschnitt ohnehin total aufdrehenden Fankurve, die trotz aller spielerischen Unterlegenheit den kämpferischen Einsatz erkannte und wertschätzte, was die niedergeschlagenen Akteure sichtlich wieder aufbaute.
„Wir halten zusammen, wie der Wind und das Meer, das Meer…“
SV Einheit Kamenz: Tom Berger – Sebastian Hempel, Andreas Zichner, Patrick Neumann – Thomas Pannach – Ondrej Holecek – Sebastian Schenk, Jens Frenzel, Franz Häfner, Sebastian Kieback, Eric Prentki; Trainer: Thomas Hentschel
Eingewechselt: Pavel Runt, Michael Becker, Felix Rehor
BSG Chemie Leipzig: Andreas Rudolf – Felix Preussner, Lucas Rieger, Michael Schilling – Dave Jeßner, Matthias Gothe (46. Norman Lee Gandaa) – Thomas Hönemann, Matthias von der Werth, Stephan Schammer (46. Marcus Wolf), Patrice Meißner, Florian Gerber; Trainer: Rene Behring
Tore: 1:0 Franz Häfner (10.); 2:0 Sebastian Hempel (20.); 3:0 Ondrej Holecek (33.); 4:0 Franz Häfner (39.); 5:0 Patrick Neumann (73.)
Schiedsrichter: John Köber (Dresden) – Assistenten: Lutz Belger (Dresden), Matthias Leonhardt
Zuschauer: 679
Gelbe Karte: Eric Prentki (2.) / Florian Gerber, Norman Lee Gandaa, Matthias von der Werth